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Das Strafrecht als Genosse des Feminismus

■ Kriminalisierung oder Entkriminalisierung? Öffentliches Kolloquium über Differenzen und gemeinsame Perspektiven von Feministinnen und AbolistInnen / Darf und soll das staatliche Strafrecht gegen Gewalt an Frauen eingesetzt werden?

„Das Strafrecht war bisher der schlechteste Genosse der Frauenbewegung.“ So wollte Rene van Swaaningen von der Universität Rotterdam am Freitag versuchen, Streitende auf eine Seite zu bringen und Gemeinsamkeiten von Feministinnen und denjenigen Strafrechts-Kritikern („Abolitionisten“) herauszustellen, die Strafrecht und Knast am liebsten ganz abgeschafft sähen. Sollten, ja dürfen Feministinnen nach mehr und längerem Knast rufen für Vergewaltiger, für schlagende Männer, bei sexueller Gewalt gegen Mädchen? Endet der Kampf um die Liberalisierung von Strafrecht und Knast vor der Mauer der Frauenbewegung?

Um „Kriminalisierung und Entkriminalisierung am Beispiel Pornographie, Prostitution und Vergewaltigung“ debattierten den Freitag lang auf einer Bremer Tagung JuristInnen und andere Interessierte. ReferentInnen und DiskutantInnen hatten sich nicht nur aus verschiedenen Städten der Bundesrepublik auf den Weg nach Bremen gemacht, sondern auch aus mehreren europäischen Ländern. Die „Europäische Gruppe zur Erforschung von Abweichung und Sozialer Kontrolle“, in der sich seit 1973 kritische StrafrechtlerInnen zusam

mengefunden haben, bereitete in Bremen die nächste Jahrestagung vor und verband das mit einem öffentlichen Kolloquium.

Immerhin bescheinigte der junge Mann aus Rotterdam „der Frauenbewegung“, daß sie sich aus all den antiautoritäten, radikalen Strömungen der 60er Jahre

bis heute überhaupt und auch als stärkste behauptet habe. Genau wie die Abolitionisten, die das Strafrecht abschaffen und die Regelung von Konflikten den Subjekten selbst übertragen wollen, gingen doch Feministinnen von den Betroffenen, von unten aus und wollen Herrschaftsbeziehun

gen durchbrechen. Nicht die Normalität der Menschen sei in beiden Denkrichtungen Regel und Ausgangspunkt, sondern die Differenz, das Recht auf Verschiedenheit und Unangepaßtheit.

Grundgedanken des Abolitionismus, schon im vorigen Jahrhundert angewendet auf den

Kampf um die Abschaffung der Sklaverei, später der Todesstrafe, sind die Entschädigung, die Versöhnung, Wiedergutmachung zwischen Täter und Opfer, und nicht Rache, Strafe, Wegsperren und Vergesssen. Jedenfalls eine kleine Gemeinschaft, so behaupten die AbolitionistInnen, kann die meisten Probleme abweichenden Verhaltens einvernehmlich lösen und dabei dem Schwächeren helfen - das kann dabei auch der Täter sein, der Dieb etwa, der aus nackter Not gestohlen hat.

Und dann kommen die Feministinnen daher und fordern Knast für Vergewaltiger. Damit, werfen die fortschrittlichen Kriminologen den Frauen vor, arbeiten sie nur den Konservativen in die Hände, die die feministischen Argumente nur für den Bau von mehr Knästen benutzen wollen.

Dr. Gerlinda Smaus aus Saarbrücken, kritische Strafrechtlerin und trotzdem Feministin, legte in ihrer Erwiderung Wert auf die Diffrenz statt auf's beschworene Gemeinsame. „Feministinnen fallen mit ihren Aktivitäten den Abolitionisten, die das Strafrecht abschaffen wollen, in den Rücken.“ Während kritische Strafrechtler ehrenwerterweise „Bemühungen um die Befreiung ihrer Geschlechtsgenossen“ unternähmen - denn das Strafrecht ist von Männern für Männer gemacht -, seien die Betroffenen der feministischen Bewegung die Frauen selber: „Alle Frauen sind von Vergewaltigungen in ganz anderer Weise betroffen, als Abolitionisten von Gefängnisstrafen!“ Weil Frauen den postmodernen Zustand der Rechtsgleichheit noch gar nicht erreicht hätten, argumentierte Smaus, bliebe ein Rückzug aus dem Kodex folgenlos. Die feministischen Forderungen bei der Vergewaltigungsdebatte klagten Gleichbehandlung mit anderen Opfern von Gewalttaten, also Gerechtigkeit ein. Zentral die symbolische Funktion des Strafrechts: Was als private Gewalt von Männern über Frauen millionenfach toleriert wird, soll als Verbrechen benannt und dann auch als solches begriffen werden - auch von Frauen: „Es geht um einen Angriff auf das Strafrecht, nicht um Koopoera

tion mit ihm!“

Daß sich ausgerechnet durch Appell ans paternalistische Strafrecht patriarchale Machtstrukturen ändern ließen, bezweifelte der Bremer Jurist Karl Schumann - Oder sei nur die Kampagne um ihrer selbst willen gewollt? Smaus: „Wer vorher nicht wußte, was patriarchales Recht ist, weiß es jetzt.“ Die vermeintliche Unlogik in der feministischen Argumentation dröselte Jurist Stephan Quensel („Ich hab viel im Streit mit Sabine Klein-Schonnefeld gelernt!“) so auf: Sehr wohl könnte man bei der Abtreibung für, bei Vergewaltigung aber gegen Strafandrohung sein: „Das scheint unsystematisch und unlogisch, aber das ist politisch: verschiedene Instrumente für ein gemeinsames Ziel!“ Und Juristin Sabine Klein-Schonnefeld setzte nach: „Wenn die Dunkelziffer stimmt, sitzen hier im Raum 10 solcher Opfer! Und gerade die Gruppe soll die Großherzigkeit eines Jesus Christus haben und Bedingungen für Straffreiheit nicht an eigene Erfahrungen knüpfen?“

Klein-Schonnefeld ging so weit, die Richtigkeit der Forderungen nach harter Strafe an die Unmöglichkeit ihrer Erfüllung zu binden: „Niemand wird dadurch mehr im Knast sitzen, keine Zelle mehr gebaut - sonst müßte man sofort diese Strategie fallenlassen - wir können spielen, uns umdefinieren, Methoden und Strategien wechseln - wir haben nichts zu verlieren!“

Sabine Tengeler, Sprecherin der Grünen Bundes-AG für Kriminalpolitik, befürchtete: „Das ist nicht vermittelbar. Die Leute denken: Aha, ein schlimmes Verbrechen, also Strafe rauf, das ist gut!“ Den isolierten Opfern männlicher Gewalt solle auch genau das signalisiert werden, konterte Klein -Schonnefeld: „Ihr habt ein Recht!“ Dem Bedürfnis nach klaren Linien und reinem Tisch trat Gerlinda Smaus schließlich so entgegen: „Auch kritische Strafrechtler wollen doch die Unterschichten entkriminalisieren, aber das Umweltrecht verschärfen! Marx stellte fest: Für materielle Gerechtigkeit braucht es ungleiches Recht!“ Susanne Paa

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