: EIN STARKES DUETT
■ Ralf Kerbach und Hans Scheib in der Galerie Eva Poll
Ralf Kerbach malt Bilder und fertigt Holzschnitte an, Hans Scheib Holzplastiken und Zeichnungen. Nach dem beachtlichen Presseecho, das Scheibs Holzplastiken an gleicher Stelle (Galerie Poll) im vorigen Jahr hervorgerufen hatten, fanden sich nun diese beiden noch jungen, aber schon gut eingespielten und potenten Künstler zu einem Duo, welches wohl noch eine Menge von sich reden machen wird.
Am auffälligsten und durchschlagkräftigsten in der Szene dürften Scheibs Holzplastiken sein. Mit ihnen gelang ihm der scheinbar problemlose Sprung der expressiven, wilden Formulierungs- und Darstellungsweise von der zweiten in die dritte Dimension. Aus rohen Holzblöcken und Balkenmaterial gehackt, geschnitzt, gesägt, geraspelt, geklebt und bemalt, läßt er etwa lebensgroße Figuren entstehen, welche Komik und Gefühl, kantige Sehnsucht oder Pathos, Extroversion und Introversion, Schüchternheit und aggressiven Witz spielerisch auf die Bühne bringen, wie man es sonst in dieser Spontaneität eher von der Malerei kennt. Er trotzt dem Material aber nichts ab, was es maniriert oder materialartistisch wirken lassen würde, sondern er verlegt die Artistik in das Dargestellte, in die Kunst, und nicht ins Handwerk. Dieses beherrscht er, sonst würde es ja nicht so unproblematisch rüberkommen, aber er zeigt es nicht vor als gekonnte Handfertigkeit, sondern stellt das Material in den Dienst der künstlerischen Idee. Wenn ein Mädchen (Kunststück Nr. 2, Holz, Farbe, Höhe 3,40 Meter, Länge 4,22) auf einer Kugel balanciert, früher sagte man, man „gehe auf einen Ball“, wenn man Tanzen ging, und in Waagehaltung wie eine Bodenturnierin, Eisläuferin oder eben eine Varieteeartistin, ihre Körperlichkeit absurd verrenkt, die Kugel oder der Ball, auf dem sie das Gleichgewicht hält, auf dem Kopf eines schwarzen Panthers situiert ist, das fauchende Tier mit langem Schwanz und dynamisch gespreizter Gestik seinen artistischen Dienst tut, das Mädchen in labilem Gleichgewicht ihre geometrische Pose hält, dann sind fast alle Kriterien gesteigerter Figuration erfüllt und auch ablesbar. Das Werk gefällt sofort und hält auch die Spannung.
Auch bei einem jungen Mädchen („Mädchen mit Katze“, Holz, Farben, 1988), aber immerhin 1,70 Meter hoch, das einen schwarzen Kater - auch er hat einen langen Schwanz schüchtern, aber bestimmt mit etwas errötetem Gesicht scheinbar an sich preßt, aber dadurch verschränkte Arme wie in Doppeldeckung im Grunde von sich abhält, sieht man die souveräne Materialbehandlung daran, daß das Statuarische genauso empfindlich oder dominant spürbar oder nachempfindbar wirkt wie eine quasi innegehaltene Bewegung. Der Mädchenkopf ist prägnant durch eine Glatze und zwei große Schleifen, durch relativ breite Schultern und einen schmalen, langbeinigen Körper mit großen Füßen.
Die Plastik „Susanne“ zeigt ebenfalls souverän stehengelassenes nacktes Holz in sparsamer (schwarz, weiß, rot), aber effektiv irrationaler Bemalung. Die elegische, kantige Schmiegsamkeit des 1,66 Meter hohen Mädchens läßt an Kirchner denken, eine weitere Figur („Gebundene Hexe“), 88 Zentimeter hoch, gewisser Anklang an Baselitz, bildet ungefähr ein Dreieck, hält auf dem Po das Gleichgewicht, indem sie die gestreckt angewinkelten Beine etwa in dem Winkel zur Horizontalebene hält, welche auch der Oberkörper aufweist. Strukturhafte Haarbildung, grobe Rumpfbearbeitung und überdimensionierte Füße sind ebenso Akzente wie stehengelassene Astlöcher, glatte oder unbearbeitete Holzflächen, Holzformen oder Winkel, welche der rohen Gesamtgeometrie den rauhen Charme der wilden Skulptur verleihen.
Etwa gleich stark wie Scheib in seinen Plastiken dürfte Ralf Kerbach in seinen großen Bildern sein. „Fallender“ heißt ein Werk, 4,50 mal 2,50 Meter groß, Mischtechnik auf Leinwand. Darauf sieht man eine gestreckte männliche Person in eine Landschaft gemalt, gezeichnet auf feuchtem Grund, der orange-rosa gefärbt wurde. Die Linien erinnern in den Beinformen an frühe Figurendarstellungen von Picasso (siehe „Am Strand“), in der somnabulen Verzerrung und der Größenreduzierung der Kopfpartie ungefähr auch an Baselitz. Ein Schal steht eckig ab, ein sehnsüchtiger Blick geht ins Leere, ein Arm schwebt mantisch sensibel, eher besänftigend als Führeranspruch, eine Hand gespreizt, knochig, fleischig, auch etwas Kokoschka, die Linien-Flächenbearbeitung aber auch an japanische oder chinesische Zeichnungen erinnernd, denn der Grund ist sensibel getönt, darauf die Linienführung deutlich abgehoben.
Erwähnenswert ist das Werk „Kreuzigung“, Öl auf Leinwand, 1988, 230 mal 180 Zentimeter, in dem Kerbach zeigt, daß er auch mit dieser Technik sehr gut zurechtkommt. Zwischen Horror und Comic, Trauerfähigkeit und kunsthistorischer Verarschung, bunter Figuration und dunklem Hintergrund gehalten, entfaltet er eine Figurenszenerie, welche fasziniert. Das seherische Mädchen neben dem großen, sanft glotzenden Hasen, Besänftigungshinweis oder korrupter Befehl, Hexe oder kleine Heilige, der Mann am Kreuz, eine Leiter lehnt schräg daran, sieht auf eine nicht gekreuzigte, vielleicht noch bemitleidenswertere Figur im Vordergrund, überdimensionaler Wasserkopf, verstörter Blick, orale Gestik, mit hängendem Geschlechtsteil in einem ominösen Sack stehend. Im Hintergrund etwas Radziwill. Kunstgeschichte persifliert.
Nicht so ganz überzeugend die kleineren, skizzenhaften Gemälde. Das gleiche gilt auch bei manchen Zeichnungen von Scheib, welche allerdings ihren bedingten Eigenständigkeitswert auch signalisieren. Dennoch sind sie als Interpretationen des Gesamtwerks interessant. Die Holzschnitte von Kerbach wiederum sind von unabhängiger, gültiger Ästhetik. Er zeigt dort in den Hirten- und Kreuzigungsthemen, Tierdarstellungen und visionären Phantasien, meist figurativ, manchmal an Nolde, Munch, Rottluff, Heckel, Barlach, weniger an Masarel erinnernd, daß man mit dieser uralten Technik viel sagen kann, ohne die inhaltlichen oder formalen Klischees übermäßig zu reproduzieren. Jedenfalls haben Kerbach und Scheib eine breite und ziemlich unverbrauchte künstlerische Palette vorzustellen, mit der sie erfinderisch und aussichtsreich weiterarbeiten können.
Andreas Kaps
Ralf Kerbach / Hans Scheib in der Galerie Eva Poll, Lützowplatz 7, bis zum 22.Februar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen