: Regierungskoalition kritisiert Vorgehen der Polizei
■ Innenausschuß begann Debatte über den Polizeieinsatz am 1. Mai in Kreuzberg / CDU erwägt Mißtrauensantrag / Alle Fraktionen wollen einen Untersuchungsausschuß / Umstrittenes Protokoll vorgelegt / Arbeitsgruppe zur Aufklärung eingesetzt
Innensenator Erich Pätzold ging gestern in der Sitzung des Innenausschusses deutlich auf Distanz zur Polizeitaktik am 1. Mai. Auf der Sitzung am vergangenen Freitag hatte Pätzold sich noch hinter die Polizei gestellt und deren Besonnenheit gelobt. Nun äußerte er erhebliche Zweifel daran, ob die Polizei in ausreichender Anzahl vor Ort gewesen sei. Er will nun genau wissen, warum es so lange gedauert habe, bis die Einsatzbereitschaften am Ort der ersten Randale während der Demonstration ankamen, und warum es so lange dauerte, „bis der Nachschub kam“. Ein Einsatzleiter, der detailliert schilderte, wo seine sechs Bereitschaften zu Beginn der Demonstration stationiert waren, erklärte, daß eine Begleitung des Zuges auf Parallelstraßen nicht möglich war. Einerseits habe es auf der Strecke keine durchgehenden Parallelstraßen gegeben, andererseits seien die Wohnstraßen zu eng gewesen. Wenn dem so war, erklärte Pätzold, dann hätte die Polizei eben doch „direkt an den Zug“ herangehen müssen. Die Polizei habe die Lage falsch eingeschätzt, warfen auch die AL-Abgeordneten Renate Künast und Lena Schraut der Polizeiführung vor. Eine Demonstration durch Kreuzberg sei doch „keine katholische Prozession mit Weihrauch“, da rieche es eher nach Tränengas und Steinen, meinte Frau Künast. Lena Schraut fand den Vergleich mit dem Vorjahr von seiten der Polizei unpassend. Schließlich seien da nicht bereits in der Nacht vorher Läden geplündert worden, habe es keinen Hungerstreik und keine Hausbesetzungen gegeben. Einsatzleiter Ernst erklärte, ihm sei nicht klar gewesen, daß der Hungerstreik „Kernthema“ der Demonstration gewesen sei. Einem Gesprächsprotokoll der Polizei ist allerdings zu entnehmen, daß auf die Verlegung von Gabriele Rollnik ins Krankenhaus eigens bis nach dem 1. Mai gewartet werden sollte.
Der CDU-Abgeordnete Klaus-Rüdiger Landowsky, der gestern die Fragen ausnahmsweise VertreterInnen der Regierungskoalition überließ, deutete gegen Ende der Sitzung an, daß seine Fraktion voraussichtlich am Donnerstag einen Mißtrauensantrag gegen Pätzold einbringen wird. Er warf SPD und AL vor, sie versuchten die Verantwortung für die entstandenen Schäden allein der Polizei in die Schuhe zu schieben. Polizeipräsident Schertz unterstrich noch einmal, er habe die Auslassungen des Innensenators bei Vorbesprechungen zum 1. Mai „als verbindlich“ angesehen. Über die Vermerke von diesen Gesprächen gibt es zwischen Polizeipräsident und Innensenator erheblichen Unmut. Polizeipräsident Schertz hatte sie ohne Wissen des Innenssenators anfertigen lassen. Die Protokolle waren der Presse zugespielt worden. Gestern erhielten die Abgeordneten ein vom Innensenator heftig redigiertes Exemplar. In einem Anschreiben von Pätzold an Schertz zeigt sich der Innensenator verärgert darüber, daß einiges aus den Gesprächen nicht korrekt wiedergegeben, andere wesentliche Punkte ganz weggelassen worden seien. Es fehle beispielsweise sein „Rat“, sich vorsorglich auf mehr Demonstranten einzustellen. In handschriftlichen Randbemerkungen schreibt Pätzold, er habe nie von einer „restriktiven Haltung bei Festnahmen“ gesprochen. Gemeinsame Übereinkünfte seien offenbar als „einseitige Vorgaben oder gar Weisungen“ mißverstanden worden. Durchgestrichen wurden Sätze wie: „Prämisse muß also sein: 'Vermummungen so weit und so lange wie möglich hinzunehmen.'“ Der Senator bat sich in seinem Brief aus, daß Schertz demnächst „öffentliche Äußerungen und Mitteilungen von politischem Gewicht mit ihm abzusprechen seien“.
Das Parlament wird sich am Donnerstag weiter mit dem 1. Mai befassen. Vermutlich wird auch ein Untersuchungsausschuß eingerichtet werden, da alle Fraktionen gestern dem CDU -Vorschlag tendenziell zustimmten. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung eines ehemaligen Polizeidirektors aus Nordrhein -Westfalen soll sich zusätzlich um Aufklärung bemühen. (Siehe auch S.5)
RiHe
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