Krise in der WHO um PLO-Vollmitgliedschaft

PLO-Antrag auf WHO-Mitgliedschaft führt zu Konflikt in der Organisation / USA drohen mit Sperrung ihrer Gelder / Aidsforschungsprogramm gefährdet / Washington setzt befreundete Regierungen und sogenannte Dritte-Welt-Staaten unter Druck  ■  Aus Genf Andreas Zumach

„Das ganze Problem ist schlimmer als Aids.“ Mit derart drastischen Worten beschrieb der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Hiroshi Nakajima, am vergangenen Mittwoch abend in Genf den schweren Konflikt, der die seit gestern tagende diesjährige WHO-Vollversammlung überschattet. Er habe „nur schlechte Nachrichten und einen gefährlichen Virus mitgebracht“, hustete der aus Washington zurückgekehrte Japaner in die Mikrophone der Journalisten, und meinte damit nicht seine schwere Erkältung, sondern die Drohung der Bush-Administration, sämtliche Zahlungen an die WHO einzustellen und damit unter anderem deren Aidsprogramm praktisch lahmzulegen.

Mit dieser in UNO-Kreisen quer durch die politischen Lager als „nackte Erpressung“ bezeichneten Drohung will der mit 25 Prozent Budgetanteil größte Beitragszahler USA verhindern, daß die derzeit tagende WHO-Jahrestagung den von den Staaten der Arabischen Liga eingebrachten Antrag auf Vollmitgliedschaft der PLO zustimmt. US-Außenminister Baker hatte die US-Ankündigung am vergangenen Montag über die WHO hinaus auf „alle internationalen Organisationen“ ausgedehnt, „die den derzeitigen Beobachterstatus der PLO verändern“. Mit der Äußerung, eine Vollmitgliedschaft der PLO in der WHO oder anderen UNO-Organisationen sei eine „schwere Belastung für den Nahost-Friedensprozeß und die ganze UNO“, fuhr Baker schweres Geschütz auf. Ebenso wie andere Vertreter der Bush -Administration weigerte sich der Außenminister, den WHO -Generaldirektor persönlich zu empfangen.

Die USA befürchten die Anerkennung eines palästinensischen Staates „durch die Hintertür“. Während es für die Aufnahme in andere UNO-Spezialorganisationen einer Zweidrittelmehrheit bedarf, verlangen die WHO-Statuten nur eine absolute Mehrheit der Mitglieder. Zudem können WHO -Mitglieder quasi automatisch bestimmten anderen internationalen Organisationen beitreten. Für die PLO und die Arabische Liga ist der Antrag auf WHO-Vollmitgliedschft logische Konsequenz aus den Beschlüssen der Genfer UNO -Vollversammlung vom vergangenen Dezember. Dort wurden immerhin - bei Gegenstimme der USA und Enthaltung der meisten EG-Staaten - die Ausrufung dieses Palästinenserstaates und die Gründung einer Exilregierung von der UNO-Vollversammlung mit großer Mehrheit offiziell zur Kenntnis genommen und der bisherige Beobachterstatus der PLO in einen solchen für „Palästina“ umgewandelt.

Der jetzt entbrannte Streit geht um ein seit 52 Jahren unverändert gültiges Dokument: die Akte von Montevideo, in der 1937 als Definition für einen Staat das Vorhandensein eines Volkes, einer Regierung sowie eines Staatsgebiets festgelegt wurde. Nach Ansicht westlicher Diplomaten darunter der BRD - hätte der WHO-Generaldirektor unter Verweis auf dieses Dokument den Antrag auf PLO -Mitgliedschaft erst gar nicht entgegennehmen dürfen. Doch Nakajima erklärte am Mittwoch, die internationale Realität habe sich inzwischen über die Montivideo-Akte hinaus entwickelt.

Der Pflichtbeitrag der USA für 1989 beträgt 78,3 Millionen US-Dollar. Mit ähnlichen Summen für 1988 ist die USA - wie auch für das UNO-Gesamtbudget - immer noch im Zahlungsrückstand. Noch schwerwiegender als die Verweigerung dieser Pflichtbeiträge würde sich die Sperrung zugesagter freiwilliger Gelder auswirken. Sie kommen fast ausschließlich der Anti-Aidskampagne, dem seit einigen Jahren wichtigsten WHO-Programm, zugute. Kenner der WHO bezweifeln allerdings, daß die USA ihre Drohung wahrmachen. Sie würde sich damit de facto aus dem internationalen Aidsforschungszusammenhang ausklinken, der über den innerhalb der WHO verabredeten Vergleich und Austausch ansonsten konkurrierender nationaler Aidsforschungen gewährleistet ist. An diesem Austausch haben die USA ein elementares Interesse. Ein Ausstieg aus den WHO -Zusammenhängen - so eine langjährige Beobachterin der WHO und der weltweiten Pharmaindustrie - mache nur Sinn, wenn US -Forscher ein Anti-Aidsmittel gefunden hätten, dessen weitere Entwicklung und weltweite Vermarktung der US -amerikanischen Industrie vorbehalten bleiben solle. Dafür gebe es bislang keine verläßlichen Anzeichen. Wie dem auch sei, bislang wirkt die Drohung aus Washington. Dazu kommt massiver Druck der Bush-Administration auf verbündete Regierungen „mit allen zur Verfügung stehenden, diplomatischen Instrumenten, inklusive der Androhung wirtschaftlicher Sanktionen“, wie der Vertreter eines Dritte -Welt-Staates vergangene erklärte. Dagegen steht die PLO -Ankündigung, bei einem Scheitern des Antrags auf der Jahrestagung der Internationalen Telekommunikationsorganisation in diesem Monat den Ausschluß Israels zu beantragen.