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Jeden Tag eine Wohnung weniger

■ Halle ist mit seinen vielen wertvollen Kulturdenkmalen in einem trostlosen Zustand/ Für die Sanierung fehlen die Fachleute / „In den letzten Jahren hat bei uns die Platte regiert“

Halle (dpa) - Halles Oberbürgermeister Eckhard Pratsch gestand es unverblühmt: Diese rund 236 000 Einwohner zählende Stadt an der Saale verliert jeden Tag eine Wohnung. Zuviel alte und erhaltenswerte Bausubstanz verkommt. Pratsch hat auch eine Erklärung dafür bereit: „In den letzten Jahren hat bei uns die Platte regiert.“ Gemeint sind die fertigen Bauelemente, mit denen das ehemalige SED-Regime uniforme Wohnsiedlungen in Städten und Gemeinden errichtet.

Die Wende habe zwar einen weiteren Abriß alter Bauten in Halle verhindert. „Aber es ist fünf vor zwölf“, beschreibt der 37jährige Kommunalpolitiker die Situation.

In Halle gibt es laut Pratsch noch rund 3000 Handwerksbetriebe. Die Plattenbauweise mit Fertigteilen habe die Ausbildung im Bauhandwerk aber zu einseitig werden lassen. Es fehle an Fachleuten für die Sanierung und an qualifiziertem Nachwuchs. Die Hoffnung der Stadtväter richtet sich deshalb auf entsprechende Institutionen in der Bundesrepublik. Von dort könne Rat und Unterstützung für den Mittelstand kommen.

Den täglich spürbaren Exodus durch abwandernde Hallenser Bürger in die Bundesrepublik verfolgt Oberbürgermeister Pratsch mit großer Besorgnis. Nach seinen Worten ist noch nichts sichtbar, was hier einen Halt signalisieren könnte. Wenn unsere Bürger den ersten Kran sehen und die ersten sicheren Positionen in der Versorgung erkennen, dann fassen sie wieder Mut.“ Und er fügt hinzu: „Bei uns ist jeder Tag in der Entwicklung ein Jahr.“

Die enorme Umweltbelastung durch den Brankohlenabbau und die benachbarte chemische Industrie in Leuna, Wolfen und Bitterfeld haben dem Image von Halle einen Kranz negativer Attribute geflochten.

So sei es schwer, der 1029 Jahre alten Stadt ein Gesicht zu geben: Halle sei mit seinen vielen, wertvollen Kulturdenkmalen in einem trostlosen Zustand. „Trotzdem sind wir voller Optimismus.“ Den DDR-Regierungsstellen wirft Oberbürgermeister Pratsch vor, zu wenig für die Metropole des früheren Landes Sachsen-Anhalt getan zu haben. Die Industrie um Halle erwirtschafte 16 Prozent des Bruttosozialproduktes der DDR. Es gebe Regierungsprogramme für Leipzig, Dresden und andere DDR-Städte, nicht aber für Halle, klagt Pratsch.

Hilfe hat auch das Stadtkrankenhaus nötig, das 1892 als Knappschaftskrankenhaus „Bergmannstrost“ gegründet wurde. Es ist heute Poliklinik für die ärztliche Grundversorgung der Patienten, hat 500 Betten und rund 800 Mitarbeiter.

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