: Volkseigentum fürs Volk
DDR-Regierung geht gegen den drohenden Ausverkauf in die Offensive: Für die Bevölkerung Anteilscheine an der DDR / Volksentscheid zum Eigentum vorgesehen ■ Von Klaus Hartung
Statt Ausverkauf der DDR: Volkseigentum in die Hand des Volkes - mit dieser Formel läßt sich das Ergebnis der gestrigen Ministerratstagung in Ost-Berlin umschreiben. Die Grundidee: Durch eine Übereignung der DDR soll der begehrliche Westen gebremst und die DDR-Bevölkerung gezwungen werden, sich zu entscheiden, mit welchen Ansprüchen sie die deutsche Einheit will. In Form eines Entwurfes einer Regierungserklärung zu den Eigentumsverhältnissen hat die Regierung Modrow deutlich gemacht, daß sie dem Versuch, mit der Währungsunion die DDR praktisch als Immobilie zu übernehmen, etwas entgegensetzen will. Wolfgang Ullmann, Minister ohne Geschäftsbereich und Vertreter von „Demokratie Jetzt“, stellte den Plan vor, die DDR den Bürgern als Eigentum in Form von „Anteilsrechten“ zu übereignen; Rechte, die von „öffentlichen Anstalten zur treuhänderischen Verwaltung“ auch „schriftlich beurkundet“ werden sollen. Ullmann begründete diesen „politisch bedeutsamen Schritt“ aus der aktuellen Existenzangst der Bevölkerung und aus der Geschichte der DDR.
Angesichts der drohenden Besitzansprüche aus dem Westen sei der Staat verpflichtet, den Schutz seiner Hoheit zu garantieren. Er habe eine „Vertretungspflicht“ für die Nutzungsrechte und das Eigentum an Wohnungen und Grundstücken der Bevölkerung. Es gehe um „Rechtssicherheit“ für das in vierzig Jahren erarbeitete Vermögen. Der historische Hintergrund: Die Grundlagen dieses Vorschlags seien das Potsdamer Abkommen, die Bodenreform und das Volkseigentum, wie es im Artikel 24 der ersten Verfassung vom 7. Oktober 49 verankert wurde.
Ullmann zufolge ist ein solcher Vorschlag mit der Marktwirtschaft durchaus vereinbar. Er erlaube vor allem die Differenzierung zwischen Staats- und Volkseigentum. Staatssekretär Wolfram Kraus unterstrich: Mit der Entscheidung für die „Treuhandschaftsanstalten“, die das Volkseigentum wahren sollen, ist die Pflicht der volkseigenen Betriebe verbunden, sich in Kapitalgesellschaften aufzulösen. Die Umbildung der Betriebe in Aktiengesellschaften oder GmbHs soll das freie Wirtschaften garantieren. Arbeiter haben da nur das Recht zur Stellungnahme, also kein Vetorecht.
Folgerichtig wurde auch ein Gesetzentwurf für ausländische Niederlassungen vorgestellt. Dessen Grundsatz: Niederlassungsfreiheit.
Die „Treuhandschafts-Anstalten“ sollen verhindern, daß das Volkseigentum aufgelöst oder eigenmächtig entäußert wird. Vor allem Grund und Boden kann als „unteilbares Volkseigentum nicht veräußert werden“ (Kraus). Was allerdings die Bevölkerung mit den Urkunden ihrer Anteile machen kann, müsse noch geklärt werden. Erste Schwierigkeit ist die Bewertung dieser Anteile am „Basiseigentum“. Dazu sollen Ullmann zufolge auch internationale Experten herangezogen werden. Bevor gegebenenfalls jene Anstalten Wertpapiere emittieren können, bedürfe es auch eines Volksentscheides über das Volkseigentum. Die politische Absicht ist deutlich: mit dem Zug der Währungsunion die Eigentumsdebatte in der DDR zu organisieren. Am 15.3., drei Tage vor der Wahl, will die Regierung ein Statut für die „Treuhandschafts-Anstalten“ vorlegen.
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