: Bremen im gesamtdeutschen Abseits
■ Wg. Wiedervereinigung: Wirtschaftssenator will neue Autobahnen und Flughafenerweiterung für alle
In einem vereinigten Europa mit wiedervereinigter „Republik Deutschland“ wird Bremen j.w.d liegen, abseits von allen Geld-, Investitions- und Länderfinanzausgleichs-Strömen. Mit dieser pessimistischen Prognose hat Bremens Wirtschaftssenator Uwe Beckmeyer seinen Senatskollegen jetzt die Wiedervereinigungslaune vermiest.
In einem Papier mit „ersten Überlegungen“ zu „Bremen in der Republik Deutschland“ sagt Beckmeyers Senatsdirektor und Stellverteter, Frank Haller, Bremen dank Wiedervereinigung und der „unvorstellbaren Wirtschaftskraft“ des EG -Binnenmarkts schon in wenigen Jahren eine „marktmäßige Randlage“ voraus. Während Haller Europas Metropolen London, Brüssel, Paris, Mailand, München, Stuttgart und der „Wieder -Hauptstadt Groß-Berlin“ rosigen Zeiten entgegengehen sieht, drohe Bremen bei der bevorstehenden Neuaufteilung der europäischen Markt-Chancen leer auszugehen.
Sinkende Chancen sieht Haller dank Deutscher Republik auch für Finanzsenator Grobecker, mehr Geld in Bonn oder bei reicheren süddeutschen Ländern im Rahmen des Länderfinanzaus
gleichs locker zu machen. Statt das arme Bremen aufzupäppeln, müßten Bund und Länder in Zukunft vor allem in Straßen, Schienen und Telefonleitungen nach Leipzig und Bitterfeld investieren. Haller: „Das Gebiet der DDR wird auf lange Zeit ein Gebiet passiver Sanierung sein.“ Und: „Der innerdeutsche Finanzausgleich wird statt von Süd nach Nord nun von West nach Ost gerichtet werden.“ Gleiches gelte für große bundesdeutsche Unternehmen, auf denen künftig „ein erheblicher politischer Ansiedlungsdruck“ lasten werde.
Schließlich entdeckt Haller auch am neuen Entspannungs-und Abrüstungsklima eine Bremer Kehrseite: 5.000 bis 10.000 Arbeitsplätze in der Bremer Rüstungsindustrie sieht der Senatsdirektor angesichts dieser an sich „durch und durch erfreulichen Erscheinung“ gefährdet. Zumal: Auch die Milliarden, die die Bundesregierung bislang noch all
jährlich für Raumfahrt und Tiefflieger ausgegeben hat, würden auf deutschem DDR-Boden nun dringender gebraucht.
Hallers Rezepte gegen das drohende wirtschaftspolitische Abseits: Bremen durch eigene politische Anstrengungen möglichst unübersehbar und verkehrstechnisch noch besser erreichbar machen. Im Klartext: Mehr Autobahnen mit bester Anbindung an alle wichtigen Industriestandorte in Bremen, „scharfes Modernisierungstempo für die Bremer Häfen“, Wettbewerbsfähigkeit durch „Konzentration auf modernste Verkehre“. Neu zur Debatte steht damit für Haller auch die Exklusiv-Nutzung der verlängerten Flughafenstartbahn durch MBB. Die bislang „vorsichtige Flughafenplanung“ müsse angesichts der veränderten Rahmenbedingungen „überprüft werden“, schreibt Haller.
In völlig verändertem Licht erscheint ihm dank Wiedervereini
gungsdebatte auch der 100-Millionen-Flop „Kongreßcentrum“. Das geplante Tagungszentum bilde eine „qualitativ hochwertige Verbesserung der Bremer Infrastruktur.“ Das Gegenteil trifft für Haller allerdings auf das Gutachten des Bremer Energiebeirats und die Bremer Atom-Ausstiegspläne zu. Angesichts der Energieprobleme in der DDR lebe das Atomstromland BRD schließlich „in einem vergleichsweise paradiesischen Zustand“. Und von den Forderungen des Erergiebeirats nach regionalen, umwelt-schonenden Energiesystemen werde jetzt ohnehin „so gut wie nichts“ übrigbleiben. Für „energiepolitische Experimente“ der Stadtwerke gebe es jetzt weder Zeit noch Geld.
Bezahlen will Haller Bremens Aufholjagd nach einem Platz an der gesamtdeutschen Sonne übrigens durch die weitere Senkung aller „unproduktiven Kosten“.
K.S.
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