: Bloß keine falsche Scham...
■ Podiumsdiskussion auf der ITB / Von Kuhn über Richthofen bis Laurien große Koalition der Polit- und SportfunktionärInnen: Alle wollen Olympia / Superdome auf dem Potsdamer Platz? / Klar, daß dazu auch wieder ein Sportpalast her muß
Keine Kinkerlitzchen mehr, kein kleinkarierter Kinderkram! Politik in Berlin in den 90er Jahren wird im globalen Maßstab betrieben, auf Weltspitzenniveau. Und deshalb ist die Bewerbug für die Olympiade 2000 oder 2004 für die Polit und SportfunktionärInnen dieser Stadt, West und Ost, gar keine Frage. Die Runde, die sich am Wochenende auf der Tourismusbörse zur Diskussion traf, beratschlagte schon die nähere Planung. Nein, Olympia in Berlin sei „kein Traum oder Hirngespinst mehr“, und auch angesichts der faschistischen Vereinnahmung der Berliner Olympiade 1936 soll „keine falsche Scham“ mehr herrschen.
Hans-Jürgen Kuhn, Staatssekretär der AL für Sport, faßt seine Machbarkeitsstudie zusammen: Der Großraum Berlin bietet gute Voraussetzungen, auch ist mit einer hohen Akzeptanz der Bevölkerung zu rechnen (wird zeit, daß eine machbarkeitsstudie von dir angefertigt wird. sezza). Sein Kollege vom Magistrat Ost-Berlins bittet angesichts der anstehenden Wahlen noch um etwas Geduld, will die West -Machbarkeitsstudie dann aber rasch für den Ostteil der Stadt ergänzen. Und all das geht Ex-Senatorin Laurien, Henne im Korb, noch nicht schnell genug. Sie möchte „mehr Feuer darunter“ sehen, denn die Olympiade muß unbedingt her und Sport ist überhaupt sehr umweltfreundlich. Also möge der Senat doch gefälligst einige Europa- und Weltmeisterschaften als Probeveranstaltungen ausrichten. Der Präsident des Sportbundes, von Richthofen, schiebt noch nach, man müsse nun Zeichen setzen! Die internationale Konkurrenz sei hart, deshalb muß gebaut werden, jetzt! Auch der Aktivensprecher West-Berlins, Menninghaus, findet das alles toll, ganz toll. Kann sich vielleicht sogar eine gesamtdeutsche Mannschaft zu den Berliner Spielen vorstellen und prägt dann das schöne Sportlercredo: „Wir machen das mit, was die Politik uns als Rahmen setzt.“
Natürlich sind noch einige Detailfragen zu klären. Beispielsweise ist für die DDR eine neuerliche Bevorzugung Ost-Berlins mit Prachtbauten und Tourismuseinnahmen problematisch. Deshalb wünscht sich der DDR-Sportminister einige „Vorrundenspiele in Magdeburg, Potsdam oder Frankfurt/Oder“, man habe da einfach großen Nachholbedarf. Und auch in Berlin fehlen noch Schwimmhalle, Tennishalle, das Olympische Dorf und eine große Sporthalle, von allen Beteiligten fortan „Sportpalast“ genannt. Das wäre zwar nur etwas für den Spitzensport, also für den gewöhnlichen Vereinssport einer Stadt nicht zu nutzen, aber die ZuschauerInnen hätten immerhin ein „kulturelles Erlebnis“ (von anderen erlebnissen ganz zu schweigen. sezza). Ja also, der Skydome Torontos, träumt DDR-NOK-Mitglied Posner, 50.000 Zuschauer, in 20 Minuten automatisch überdacht, so etwas könne man doch auf dem Potsdamer Platz stellen, das wäre doch was. AL-Kuhn, der sich eine Cola nach der anderen hinter die Binde gießt, möchte am liebsten einen internationalen ArchitektInnenwettbewerb starten, um auch die Ex-Mauer olympisch zu gestalten. Ja, aber gleich anfangen, quengelt von Richthofen wieder, denn je normaler die Situation Berlins werde, desto schlechtere Chancen bei der Vergabe habe man. Nun hatte diese visionäre Runde verständlicherweise keinen Nerv, die grundsätzlichen Vorzüge einer dreiwöchigen Hormonmonster-Show in dieser Stadt zu besprechen, von den Vorteilen elitärer Sportstadien und einer absehbaren Verteuerung des Stadtlebens ganz zu schweigen.
Schließlich gesellte sich Walter Momper noch kurz dazu. Weltpolitiker, der er inzwischen ist, spricht er denn locker von der „Überwindung der Teilung dieser Stadt und Europas“. Man müsse „durch Qualität beweisen, daß Berlin die richtige Stadt ist“, den Haushaltsetat entsprechend ansetzen. „Wer 'A‘ sagt, muß auch 'B‘ sagen, das habe ich schon immer gesagt.“ Fest steht für ihn, daß „sich die Spiele für eine Stadt immer rechnen“, und im väterlichen Ton beteuert er, daß es „Spiele der ganzen Stadt und der ganzen Gesellschaft sein werden“. Sein Wort in Gottes Ohr.
Olga O'Groschen
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