: Ein Spiel dauert 46 Minuten
Borussia Dortmund - Borussia Mönchengladbach 3:0 / Kalte Schulter für den abtrünnigen Andy Möller ■ Aus Dortmund Christoph Biermann
Der wird am Samstag was zu hören bekommen“, konnte man im Laufe der Woche überall dort aufschnappen, wo über ihn diskutiert wurde. „Erst erzählt er, er geht nach Italien, jetzt ist er doch in Frankfurt.“ - „Das macht doch alles nur sein Manager, dieser Gerster, er ist doch noch viel zu jung.“ - „Er hat doch für Borussia die Knochen hingehalten, da kann er doch auch gehen, wenn die ihm mehr bieten.“
Eine Woche lang hatte eine Stadt Zeit, den Weggang ihres Starfußballers und Hätschelkindes Andreas Möller nach Frankfurt zu verdauen. Immer wieder hatte Möller behauptet, er werde ins Ausland gehen, und Lire-Milliarden werden auch von den Dortmunder Zuschauern als Grund akzeptiert, ihre Borussia zu verlassen. Aber der Wechsel nach Frankfurt, das war doch ein starkes Stück. Andererseits kann ein der Scholle verbundener Westfale gut verstehen, wenn einer in seine Heimat zurückwill, selbst wenn es Hessen ist.
Am Samstag im Westfalenstadion wollte vox populi jedenfalls bekanntgeben, wie sie es den fürderhin mit Andy halten wolle. Das erwartete Pfeifkonzert wurde es jedenfalls nicht. Aber die BVB-Fans zeigten sich zickig. Ein paar Pfiffe, ansonsten kalte Schulter, kein Beifall. Andy Möller beschloß daraufhin, sich eher bedeckt zu halten, und gar nicht erst Zauberpässe zu wagen oder Traumkombinationen anzuleiern.
Und so war er schon nach wenigen Minuten eigentlich gar nicht mehr das Thema, das waren mal wieder die Zuschauer selbst. Die letzten kamen erst eine halbe Stunde nach Anpfiff, vorher hatten sie brav den Ruhrschnellweg gestaut und jeden Quadratmeter in Stadionnähe zugeparkt. Dann beklatschten sie den Stadionsprecher: „Wir bedanken uns heute ganz herzlich bei 52.710 Zuschauern.“ Selbst Hans -Josef Justen, populärster Sportjournalist im Ruhrgebiet und eigentlich auf die Erläuterung solcher Phänomene abonniert, lief kopfschüttelnd durch die Gegend: „Sagen Sie doch mal ehrlich, das ist doch nicht normal. Letztes Wochenende waren in Schalke 60.000 gegen Wattenscheid, dann das heute.“
Brutal gestürzt wurde an diesem Nachmittag endlich die alte Fußballweisheit vom Spiel, das neunzig Minuten dauert. Dieses Spiel hatte nämlich nur 46 Minuten. Da war gerade der abgefälschte Schuß von Michael Lusch über die Linie getrullert und das Endergebnis von 3:0 festgeklopft, danach hätte man eigentlich gut sein Sitzkissen einpacken und gehen können. Die unterlegene Borussia vergeigte noch ein paar Chancen, während die siegreiche Borussia leicht unkoordiniert weiterkickte.
Die Zuschauer waren längst zu sich selbst zurückgekehrt, mein Hintermann erfand das wunderbare Schimpfwort „Pflaumenförster“ und die Südtribüne versuchte den Russen Belanow zu ärgern, der angeblich ja mit den neuen Besitzverhältnissen noch nicht zurechtgekommen ist: „Igor ist ein Ladendieb!“ Und ein Herr Doof wurde vom Stadionsprecher aufgefordert, seinen abhandengekommenen Sohn abzuholen. Er hat dann hoffentlich trotz des Gelächters der Zuschauer den kleinen Doof in Empfang genommen.
Dem wußte eigentlich nur noch BVB-Trainer Horst Köppel einen draufzugeben. Seinem treuen, gern ins Leere zielenden Blick, der die unglaubliche Leidensfähigkeit des schwäbischen Menschen zu illustrieren vermag, fügte er das schwere Wort hinzu: „Wir haben uns heute zum Ziel gesetzt zu gewinnen.“
DORTMUND: De Beer - Helmer (82. Kroth) - Kutowski, Nikolic, Schulz - Lusch (73. Driller), Zorc, Möller, Rummenigge, MacLeod - Breitzke
MÖNCHENGLADBACH: Kamps - Straka - Eichin (74. Stefes), Klinkert, Krauss, Hochstätter, Effenberg, Meier, Neun Belanow, Bierhoff (74. Max)
TORE: 1:0 Rummenigge (37.), 2:0 Breitzke (41.), 3:0 Lusch (46.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen