: Aus für das AKW in Cattenom?
■ Interne Studie des französichen AKW-Betreibers EdF über Risiken stellt Genehmigungsverfahren für Cattenom nachträglich in Frage / Luxemburger Grüner will Frankreich deshalb verklagen
Luxemburg (taz) - Die vor kurzem bekanntgewordene interne Studie des staatlichen französischen AKW -Betreiberunternehmes EdF („Tanguy-Bericht“) über skandalöse Sicherheitsmängel in französischen Atomkraftwerken soll jetzt politische Konsequenzen haben: Der luxemburgische Grünen-Parlamentarier Jup Weber hat beim zuständigen EG -Kommissar Antonio Cardosa e Cunha beantragt, Frankreich wegen des Verstoßes gegen den Euratom-Vertrag vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen.
Weber, der am Freitag erstmals den kompletten Tanguy -Bericht der Presse vorlegte, begründete das mit den im Bericht festgestellten erheblichen Sicherheitsrisiken. So behauptet der EdF-Sicherheitsexperte Pierre Tanguy, daß ein nicht mehr beherrschbarer Unfall in einem französischen AKW innerhalb der nächsten zehn Jahre eine Wahrscheinlichkeit von „einigen Prozent“ habe. Frankreich habe aber eine solche „extrem hohe Wahrscheinlichkeit eines Kernschmelzunfalls“ bei seinen Genehmigungsverfahren nie mit einbezogen, begründete Weber seinen Antrag. Darin sehen er und sein Parlamentskollege Nick Clesen einen Verstoß gegen Artikel 37 des Euratom-Vertrages, nach dem der EG-Kommission mitgeteilt werden muß, ob durch den Betrieb eines AKW möglicherweise eine radioaktive Verseuchung des Nachbarlandes verursacht werde. Weber sieht „gute Chancen“, daß sich bei Klageerhebung durch die Kommission auch der Europäische Gerichtshof auf seine Seite schlägt und so das gesamte Genehmigungsverfahren für Cattenom (und Fessenheim wäre ein Analogfall) neu aufgerollt werden müsse.
Nach Recherchen Webers ist der dritte Block der Atomzentrale Cattenom trotz möglicher Risse an den Druckhaltereinsätzen, die Tanguy als mögliche Ursache für eine nicht berherrschbare Katastrophe angegeben hatte, in der vorletzten Woche in den nuklearen Betrieb gegangen. Aus Unterlagen des französischen Energieministeriums gehe hervor, daß erst Anfang dieses Jahres mit der Entwicklung einer „Reparaturstrategie“ für die rissigen Druckhaltereinsätze begonnen wurde. Daraus schließt Weber, daß auch andere Meiler trotz der rissigen Legierung aus Nickel, Chrom und Eisen weiterlaufen. Mit dem jetzt veröffentlichten Bericht wird auch eine Lüge der Cattenom -Direktoren aufgedeckt: Sie hatten noch vor kurzem bei einer Pressekonferenz behauptet, Block Zwei sei im vergangenen Jahr nur deshalb lange abgeschaltet gewesen, weil an anderen französischen Meilern Probleme mit den Druckhaltern entdeckt worden seien. Dagegen zeigt sich jetzt, daß der gefährliche Materialfehler genau in diesem Cattenom-Block mehr oder weniger zufällig entdeckt und in seiner Brisanz offenbar zunächst nicht richtig eingeschätzt wurde. Alarm gaben die AKW-Chefs jedenfalls nicht. Erst Prüfungen an anderen Meilern ergaben, daß insgesamt 40 Prozent aller kontrollierten Druckhaltereinsätze Längs- und Querrisse aufweisen.
Thomas Krumenacker
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