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Es wird Geld gebraucht - eine Stiftung muß her

■ Rekonstruktion am Platz der Akademie / Der „Deutsche Dom“, der eigentlich „Deutsche Kirche“ heißt, soll zum „Kunstforum“ gewandelt werden / 45-66 Ausstellungen pro Jahr hält das Zentrum für Kunstausstellungen für möglich / Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, daß der Dom sich nicht für die Präsentation von Wechselausstellungen eignet

Michael Freitag

Der „Deutsche Dom“ heißt eigentlich „Deutsche Kirche“. Er steht am „Platz der Akademie“, der früher „Gendarmenmarkt“ hieß. Er ist ein pentagonaler Zentralbau mit fünf Konchen, der aber nie ins Auge fällt. Denn der „Deutsche Dom“, das ist sein Turm. Und der ist ein quadratischer Zentralbau mit drei sechssäuligen Tempelportici, auf dem jene Tambourkuppel steht, die das Pendant zum „Französischen Dom“ bildet, der eigentlich „Französische Kirche“ heißt.

Das sei in aller Harmlosigkeit vermerkt, auch wenn rotwangiges Touristeninteresse daran scheitern mag. Es reicht hier, ein Gefühl der Unruhe zu bewahren. Denn dieser Bau hat es sich in seiner Geschichte nicht nur gefallenlassen müssen, unterschiedlich bezeichnet und mehrmals umgebaut zu werden, sondern er wurde 1943/45 sogar ganz zerstört und geriet so, der prachtvollen Rahmungsfunktion für den schönsten Platz Europas beraubt, in das tiefe Schweigen der Ruinen. Nun aber verursacht er wieder eine Öffentlichkeit. Der „Deutsche Dom“. Wie vor 210 Jahren, als „unter“ Friedrich II. der Kuppelturm nach Plänen des Gontard dem Ursprungsbau vorgesetzt wurde. Wie vor 110 Jahren, als 1881/82 die erste Gründerzeit die Kirche umfrisierte mit dem neubarocken Prunkwillen derer, denen ihre Geldsäcke zu schmucklos waren.

Und heute? Heute verkünden zwar einige die dritte Gründerzeit für Deutschland. Aber man hat inzwischen gelernt aus den Sünden der Väter und ehrt sie, indem man ihr Werk denkmalpflegerisch wiederherstellt, statt daran nach der eigenen Vorstellungsmattheit zu verbessern. Jedenfalls außen. Deshalb läuft seit 1983 die Rekonstruktion. Nun hat diese Wiederaufbauarbeit nicht nur viel Ehre im Rücken, sondern auch einen hohen Preis. Es wird Geld gebraucht. Eine Stiftung muß her. Sonst stockt das Unternehmen. Sonst kann aus der Restaurierungsleistung keine Restaurationsleistung werden. Denn der Dom soll nicht nur im alten Glanze erstrahlen. Er soll auch eine neue Bestimmung erleiden. Man will ihn zum „Kunstforum“ wandeln. Zur „Kunsthalle“. Zum fremden Gehäuse. Zum nischenschummrigen Edelraum für Werke der nationalen und internationalen Gegenwartskunst, die da trotz höchster Anstrengung nicht hineinpassen will und lieber in einer Turnhalle kalte Anschauung ertrüge als vor der Sakralkulisse durch billigen Kontrast zu ermüden.

Diese Schwierigkeiten, den Bau einer sinnvollen Nutzung zuzuführen, sind aber bekannt, seit es um seine Wiedererrichtung geht. Deshalb haben viele potentielle Nutzer, denen er im Vorfeld angeboten wurde, selbst der sonst gar nicht wählerische Kunsthandel, die Auszeichnung der Übernahme als zu drückend empfunden, um sie anzunehmen. Es stellte sich nämlich bei genauerem Hinsehen heraus, daß der Dom sich unter gar keinen Umständen, und mögen sie noch so geschichtsgerecht verkleidet werden, für die Präsentation von Wechselausstellungen eignet. Schließlich fehlt dem „Dom -Projekt“ ein Funktionsgebäude, das Büroräume, Werkstätten für Technik, Depots usw. aufnehmen könnte. Die aus aller Welt hereinströmenden Kunstwerke müßten sozusagen über den Platz in die Kirche getragen werden, gerahmt und geputzt, vorher zurechtgemacht wie Tote. Dafür könnte aber nicht alles durch das Portal: Bilder, die eine bestimmte Formathöhe überschritten, würden die historische Wandgliederung schädigen. Jeder Ausstellungsgestalter müßte gegenüber der Eigenmacht der strengen Innenarchitektur kapitulieren und hätte zu realisieren, was die Raumfassade erzwingt und nicht das, was das Kunstwerk verlangt: eine der Wirkungsabsicht entsprechende Vorstellung.

Wenn man das vor Augen hat, mutet der jüngst erhobene Aufruf zur Stiftung „Kunstforum Deutscher Dom Berlin“, höchst seltsam an. Daß die Stiftung, wie die Presse mitteilt, den Wiederaufbau fördern und vollenden soll, erregt wohl kaum Widerspruch. Daß aber der Auftraggeber, das Zentrum für Kunstausstellungen beim Ministerium für Kultur, sich damit gleichzeitig eine 110 Millionen Mark teure Repräsentationsschatulle bauen lassen will, in welcher trotz der genannten Schwierigkeiten 45 bis 66 Ausstellungen pro Jahr einander den Rang ablaufen sollen, das steht auf einem anderen Blatt. Keiner Öffentlichkeit ist bisher viel mehr als die Lieblingsidee einzelner Beamter in einem Modell vorgestellt worden, das die Probleme verniedlicht.

Die zukünftigen Besucher und Spender werden darüber im Unklaren gelassen, auch die Presse, daß die Errichtung einer funktionsgerechten Kunsthalle für Gegenwartskunst seit Jahren von Kunst- und Kulturschaffenden immer wieder vergebens gefordert wurde. Und daß die Darreichung des Domes ein zweifelhafter Versuch ist, das Baudenkmal einerseits fertigstellen zu können und gleichzeitig den Neubau einer angemessenen Wirkungsstätte für aktuelle Kunst, die vielleicht nur ein Zehntel des hier aufgewendeten Geldes brauchen würde, zu vermeiden. In diesem Projekt lebt der alte Geist, dem Repräsentation stets wichtiger war als Sachgerechtigkeit. Dem es recht sein mußte, die Provokationen heutiger Kunst, auch deren Provisorien und deren unmusealen Überlebenswillen in der Aura des Historischen zu ersticken. In alter Manier schiebt ein Ministerium die Schauvorstellungen von Gestern unter Auslassung der öffentlichen Folgenabwägung seiner raumbedürftigen Institution zu: koste es, was es wolle.

Koste es, was es wolle? Es ist höchste Zeit, das Ziel, ein Forum für zeitgenössische Kunst zu schaffen, von den Wiederaufbauplänen des Domes zu trennen. Es ist höchste Zeit, die Nutzung dieses Domes neu und vor dem zukünftigen Publikum zu diskutieren. Es ist höchste Zeit, von den Projektanten über die Konsequenzen der Geldverwendung präzise aufgeklärt zu werden, gerade weil sie die Taschen Gutwilliger und Ahnungsloser per Stiftung öffnen wollen. Diese bezahlen sonst die Restaurierung einer Kulturpolitik der abstrakten Vorzeigeherrlichkeit, die sie wie alle Prestigedemonstrationen seit Oktober zerstört zu haben glauben.

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