: Demokratischer Einbruch mit Schnur
■ Neue Enthüllungen über die Tätigkeit des DA-Vorsitzenden Wolfgang Schnur für die Stasi
Seit Monaten geistern die Gerüchte, jetzt weiß man Genaueres: Der Rechtsanwalt und DA-Vorsitzende Wolfgang Schnur war offenbar über Jahre informeller Stasi-Informant (IM). Diesen Kontakten verdankt er auch seine Zulassung als Einzelanwalt. Frühere Mandanten wie Vera Wollenberger sehen ihr Mißtrauen bestätigt. Ohne Wissen seiner Mandanten hat Schnur auch regelmäßig vertrauliche Informationen über politische Verfahren an die Bundesregierung weitergeleitet.
Der Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs (DA) und Spitzenkandidat seiner Partei bei der Volkskammerwahl, Wolfgang Schnur, hatte in den vergangenen Tagen immer wieder alle Vorwürfe über seine angebliche Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst zurückgewiesen und sogar eine Ehrenerklärung abgegeben. Aus dem Krankenhaus, in dem er mit Kreislaufproblemen seit Donnerstag liegt, sprach er gegenüber der Samstagsausgabe der 'Berliner Morgenpost‘ vom „Gipfel einer Kampagne“, die gegen ihn schon seit längerer Zeit gestartet worden sei.
In seiner heute erscheinenden Ausgabe erhärtet der 'Spiegel‘ jedoch die Vorwürfe unter Berufung auf die Aussagen zweier Führungsoffiziere des Stasi über ihre Zusammenarbeit mit dem Anwalt.
Der 'Spiegel‘ zitiert einen Stasi-Führungsoffizier, bei Auflösung des MfS im Rang eines Oberst, der dem Magazin bestätigte, daß er Schnur als „inoffiziellen Mitarbeiter“ von Ende 1980 bis 1984 geführt habe. Er habe ihn dann an einen MfS-Major weitergereicht, der Schnur nach eigenen Angaben gegenüber dem 'Spiegel‘ bis 1989 als Stasi -Mitarbeiter führte. Sein letzter Treff mit ihm habe am 7. Oktober 1989 stattgefunden, als Schnur bereits im Demokratischen Aufbruch aktiv war.
Laut 'Spiegel‘ berichtete der Führungsoffizier, er habe Schnur im Durchschnitt alle sechs bis acht Wochen gesehen, in dringlichen Fällen häufiger, und zwar meist in konspirativen Wohnungen in und um Rostock. Schnur, der nach den Vorwürfen unter dem Decknamen „Torsten“ für den Stasi gearbeitet haben soll, habe teils schriftlich ausgearbeitete Berichte mitgebracht, teils auf Tonband gesprochen. Laut 'Spiegel‘ sei Schnur dafür bezahlt worden - „so 200 oder 500 Mark“, mal seien es auch 1 000 DDR-Mark für mehrere Berichte gewesen.
Auch der Major hat laut 'Spiegel‘ bestätigt, daß Schnur als „wichtiger Informant“ regelmäßig Stasi-Geld genommen habe. Für gute Leistungen habe es Prämien gegeben, außerdem Spesen für Hotel und Benzin. Zum Inhalt der gelieferten Informationen zitiert der 'Spiegel‘ den Major mit den Worten: „Alles, was uns interessierte und womit er zu tun hatte, war Gesprächsgegenstand. Alle Dinge, die aktuell waren, konnten wir von ihm erwarten.“
Nach den von einer Untersuchungskommission in Rostock gefundenen Stasi-Akten soll Schnur - so der 'Spiegel‘ - etwa 16 Jahre lang der Staatssicherheit regelmäßig über Erkenntnisse im Umgang mit seinen Mandanten aus dem Kreis von Wehrdienstverweigerern und Bürgerrechtlern sowie über Interna der evangelischen Kirche der DDR berichtet haben.
MfS-Protektion für Zulassung
Durch seine Arbeit für die Staatssicherheit sei ihm auch 1973 die Zulassung als Anwalt und 1977 die als Einzelanwalt ermöglicht worden. Erich Wirth, 1973 Abteilungsleiter im Justizministerium und für Anwälte zuständig, berichtete, der Vorsitzende des Rostocker Anwaltskollegiums, Helmut Alkewitz, habe damals mitgeteilt, daß die Bezirksdienststelle des MfS in Rostock sich für Schnur einsetzte. Wirth: Die „Organe“ hätten erklärt, Vorsitzender und Vorstand des Kollegiums „mögen die Angelegenheit wohlwollend prüfen“. Auch 1977, als Schnur sich um seine Zulassung als Einzelanwalt bewarb - in jenen Tagen ein beinahe aussichtsloses Unterfangen - habe Schnur die Protektion des Stasi gehabt. Herbert Kern, bis 1988 Staatssekretär im Justizministerium, war für Schnurs Antrag zuständig. Er erinnerte sich lt. Spiegel: „Das Entscheidende ist, und deshalb ist mir das so im Gedächtnis geblieben, daß zwei oder drei Wochen vor dem Antrag von Schnur ein Mitarbeiter vom Ministerium für Staatssicherheit bei mir war. Der kam zu mir im Auftrag seines Vorgesetzten, wie er sagte, und avisierte diesen Antrag und bat darum, daß wir diesen Antrag sehr wohlwollend prüfen und in seinem Sinne entscheiden sollten.“ Am 1.1.1978 wurde Schnur die Zulassung erteilt.
Das Bundeskanzleramt ist nach dem Bericht des 'Spiegel‘ schon vor Wochen vom Bundesinnenministerium darüber unterrichtet worden, daß nach Erkenntnissen der Bonner Abwehr nicht ausgeschlossen werden könne, daß Schnur vor kurzem noch Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes gewesen sei. Mehrere Stasi-Überläufer hätten ihn belastet.
Am Freitag hatte Staatssekretär Ottfried Hennig vom Innerdeutschen Ministerium in Bonn bestätigt, daß Schnur jahrelang die Bundesregierung über politische Strafverfahren gegen DDR-Bürger unterrichtet habe. Die 'Frankfurter Rundschau‘ meldete, Schnur habe seit 1983 Bonner Stellen über solche Verfahren informiert. Diese Kontakte habe es in der Zeit der SPD-FDP-Regierung in Bonn nicht gegeben. In Bonn werde gefragt, wie es dem Anwalt gelingen konnte, diese Aktivitäten geheimzuhalten. Entweder habe er sie vor den DDR -Geheimdiensten verborgen oder er habe unter dem Schutz der Staatssicherheit gestanden.
Der Sprecher des DA, Pfarrer Rainer Eppelmann, sieht indessen nach Angaben von AP keinen Grund, Wolfgang Schnur das Vertrauen zu entziehen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Eppelmann am Sonntag, er sei über die „schlimmen Vorwürfe“ gegen Schnur betroffen. „Wir haben mit Wolfgang Schnur, mit dem ich seit vielen Jahren befreundet bin, und den ich als einen sehr mutigen und engagierten Rechtsanwalt achte, ein sehr offenes, langes und intensives Gespräch geführt. Am Ende des Gesprächs hat er dann die Erklärung abgegeben, daß all diese Vorwürfe, die gegen ihn vorgebracht werden, der tatsächlichen Grundlage entbehren“.
Der unabhängige Untersuchungsausschuß zur Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes in Rostock, der die Akten gefunden hatte, hat sich unterdessen dagegen verwahrt, in Wahlkampfauseinandersetzungen hineingezogen zu werden. Allerdings hat der Ausschuß eindeutige Hinweise, daß mindestens 20 Aktenhefter mit Spitzel-Berichten von Schnur vorhanden sind.
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