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Schnur im Zwielicht

■ Vorstand des DA wollte gestern Einsicht in Akten der Untersuchungskommission nehmen

Berlin (taz) - Die Vorwürfe gegen den Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruchs, Wolfgang Schnur, er habe jahrelang als bezahlter Informant der Staatssicherheit gearbeitet, stehen weiter im Raum. Der Vorstand des Demokratischen Aufbruchs wollte gestern in Berlin Einsicht in Akten der unabhängigen Untersuchungskommission nehmen, aus denen möglicherweise eine solche Spitzeltätigkeit hervorgeht. Bis zum Redaktionsschluß teilte der DA-Vorstand jedoch nicht mit, welche Ergebnisse diese Akteneinsicht erbracht hat. Währenddessen haben sich die 450 Delegierten des Demokratischen Aufbruchs auf ihrem Parteitag in Dresden am Sonntag einhellig hinter ihren ins Zwielicht geratenen Vorsitzenden gestellt. Trotz neuerlicher Hinweise auf eine Spitzeltätigkeit Schnurs sprachen ihm die Delegierten das Vertrauen aus und spendeten einer Grußbotschaft ihres Vorsitzenden demonstrativ Beifall. Pfarrer Rainer Eppelmann forderte seine Parteikollegen auf der Dresdener Versammlung auf, Schnur mehr zu trauen „als den Aussagen ehemaliger Stasi-Leute“. Die von der Rostocker Untersuchungskommission angeführten, von Ex-Stasi Chef Mielke persönlich unterschriebenen Auszeichnungen, die Schnur bekommen haben soll, könnten „getürkt“ sein. Die Bögen mit den Auszeichnungen seien möglicherweise von Mielke blanko unterschrieben worden. Schnur selbst, der angeblich immer noch wegen einer Kreislaufschwäche im Krankenhaus liegt, hat sich persönlich bisher nur mit einer Erklärung an seine Parteikollegen und gegenüber Springers 'Berliner Morgenpost‘ geäußert. Dort sagte er: „Wer in der DDR in den letzten Jahren politische Arbeit geleistet hat, der kennt die schmutzigen Mittel, die diese Leute inszenieren“. Zu der Aufforderung einzelner Mitglieder des Demokratischen Aufbruchs Rostock, er solle von seinem Amt als Vorsitzender und Spitzenkandidat des DA zurücktreten, hat Schnur bisher keine Stellung genommen.

Nachdem inzwischen mehrere prominente DDR-Oppositionelle, darunter Freya Klier, Vera Wollenberger und Bärbel Bohley, ihr Mißtrauen gegen ihren ehemaligen Anwalt Schnur geäußert haben und eine Stasi-Tätigkeit ihres Verteidigers nicht ausschließen wollten, haben sich nun auch Fürsprecher für Schnur gefunden. Eine „Initiative politisch Verfolgter für Schnur“ in der Gemeinschaft ehemaliger politischer Häftlinge gab jetzt eine Eherenerklärung für ihren Anwalt ab. Das Innenministerium der BRD in Bonn hat währenddessen Berichte zurückgewiesen, die Bundesregierung hätte schon seit einiger Zeit Informationen von Stasi-Überläufern über eine Geheimdienstmitarbeit Schnurs gehabt. Der Sprecher des Innenministeriums erklärte, es gebe „keine Aussage von Überläufern, die diese Vorwürfe belegen“.

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