piwik no script img

Wem soll das Volkseigentum gehören?

■ Letzter zentraler Runder Tisch schlägt vor: Das Volkseigentum soll auf die 16 Millionen Bürger aufgeteilt werden, die Leitungskader in den Betrieben sollen sich einer Vertrauensabstimmung der Belegschaft stellen

„Hier steht unsere Revolution auf dem Spiel“, erklärte der Vertreter von Demokratie Jetzt, Fischbeck, gestern morgen dem zentralen Runden Tisch im Schloß Niederschönhausen. „Aus Kommunisten werden unter der Hand Kapitalisten“, die alte „herrschende Klasse“, die „Nomenklatura der SED“ herrsche immer noch - in den Betrieben. Die alten SED-Kader seien dabei, „sich in den Besitz des Volkseigentums zu setzen“.

Wem gehört das Volkeigentum? Soll es anteilmäßig den 16 Millionen Bürgern der DDR übertragen werden oder wird es nach einer Währungsunion nur noch als Konkursmasse westdeutschen Firmen billig angeboten? „Das ist die Grundfrage der Politik, um die es jetzt geht“, richtete der Minister ohne Geschäftsbereich, Wolfgang Ullmann, einen eindringlichen Appell an die Runde. Die fühlte sich eingestandenermaßen überfordert, für die komplizierten Fragen des Volkseigentums Lösungen vorzuschlagen. Aber die Zeit drängt. Denn wenn volkseigene Betriebe sich selbständig machen, dann teilen sich die „Chefs von gestern“ den gesellschaftlichen Reichtum mit den Partnern aus dem Westen

-„dies ist schon im Gange, das muß verhindert werden“, forderte der DJ-Vertreter Fischbeck.

Ullmann für DJ und die SPD hatten einen Antrag eingebracht, vor der Bildungs von Kapitalgesellschaften eine „unentgeltliche Eigentumsübertragung auf das Volk“ vorzunehmen. Wenn ein DDR-Bürger seine 40.000 Mark von dem bisherigen Volkseigentum - das nach Fischbeck in Wirklichkeit „Eigentum des SED-Staates“ war - besitzt, wird er es sich zweimal überlegen, ob er „rübermacht“, argumentierte das Neue Forum. Die Eigentumsübertragung sei nicht nur die gerechte Lösung, sondern auch die „einzige Möglichkeit, die Bürger hierzuhalten“. Die Ministerratsverordnung über die „Umwandlung der volkseigenen Betriebe in Kapitalgesellschaften“, nach der schon Volkseigentum auf natürliche Personen übertragen wird, widerspreche der geltenden DDR-Verfassung, sie müsse aufgehoben werden. Für seine 40.000 Mark - von einem Wert in dieser Größenordnung wurde ausgegangen - könne dann jeder Bürger seine Wohnung oder Anteile an seinem Betrieb erwerben, der Wert könne auch in die Gründung einer neuen Firma eingebracht werden. Diese Eigentumsübertragung auf das Volk soll das landwirtschaftlich bewirtschaftete Grundeigentum nicht berühren, Beteiligungen von West-Firmen sollen nach der Klärung der Volkseigentums-Verhältnisse möglich sein.

Unabhängig von den Eigentumsverhältnissen sollen, da waren alle Sprecher am Runden Tisch mit dem Neuen Forum einig, die Leiter der Betriebe sich in einer „Vertrauensabstimmung“ dem Votum „aller Beschäftigten“ stellen. Denn die stalinistische Kaderpolitik“ der vergangenen 40 Jahre in Leitungsfunktionen gekommen, argumentiert das NF. Der Ministerratsbeschluß vom 21.12.89, der den alten Kadern die neue wirtschaftliche Macht gab, solle aufgehoben werden. Die Betriebsdemokratie soll auch in Institutionen der „Wissenschaft, des Bildungswesens sowie in den staatlichen Einrichtungen und Verwaltungen“ gelten. Die alten Kaderleiter dürfen ihre Funktion „nicht weiter ausüben“, neue Personalchefs dürfen nur mit Zustimmen der Beriebsräte eingestellt werden. Dem PDS-Vertreter war das „zu riskant“: Es drohe die „Stunde der Demagogen“, hier könnten auch Bundesbürger gewählt werden und es fehle eine „Kontrolle von außen“ der betrieblich getroffenen Entscheidungen. Auch die Vertreterin des DA befürchtete ein „Vakuum“, weil vielfach keine kompetenteren Leiter als die bisherigen zur Verfügung stünden. Aber die Mehrheit des Runden Tisches fand eine Fortsetzung der alten Machtstrukturen in den Betrieben riskanter.

K.W.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen