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Drei Varianten gegen die Gründung der SDP

■ Sozialdemokratie als Polizeiproblem: Polizeichef skizzierte dem SED-Politbüro am 17.10.1989 das Konzept gegen die SDP

Die Staatssicherheit war bei der Gründung der SDP am 7. Oktober nicht dabei - und entsprechend irritiert, als der Antrag auf Zulassung ganz offiziell gestellt wurde. Die Gründung einer sozialdemokratischen Partei sollte als Problem der Polizei behandelt werden, der Polizeichef Armeegeneral Friedrich Dickel schrieb für den Ministerrat am 17.10.89 eine Vorlage, in dem die Strategie gegen die SDP festgelegt wurde: Die neue Gruppierung sollte als „verfassungswidrig“ gestempelt und eingeschüchtert werden. Begründung: „Der Inhalt (der Gründungserklärung) richtet sich gegen die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei ...“, also gegen Artikel 1 der Verfassung. Hilfsweise erklärt der Polizeichef, in dem Aufruf werde „jede Bezugnahme auf den Sozialismus der DDR vermieden. Damit wird die größte Errungenschaft der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten in der DDR negiert. Auch das widerspricht den Grundsätzeen und Zielen der Verfassung.“

Als Ibrahim Böhme am 10. Oktober die Gründungsdikumente offiziell beim Ministerium für Innere Angelegenheiten abgehben wollte, da hatte sich der Pförtner geweigert, den Empfang zu quittieren. Böhme schickte daraufhin die Unterlagen per Post und bekam als Antwort - eine Vorladung. Er ging aus Angst vor der Stasi nicht hin und lebte eine zeitlang versteckt in einem Hinterhaus am Prenzlauer Berg.

Was Böhme gesagt worden wäre, das steht detailliert in Dickels Vorlage fürs Politbüro: „Prüfungen haben ergeben, daß alle rechtlichen Erfordernisse und Voraussetzungen eines derartigen Zusammenschlusses nicht beachtet wurden...“. Ein „formgebundener Antrag auf staatliche Anerkennung“ etwa fehle. Gleichzeitig sollte Böhme darauf hingewiesen werden, daß der Aufruf die „eindeutig antisozialistische Grundorientierung und Verfassungswidrigkeit“ erweise. Dies entsprach einer generellen Tendenz des Polizeichefs aus jenen Tagen, unmittelbare Repression zu vermeiden und es erst einmal mit Einschüchterung zu versuchen - „Variante 1“.

Als „Variante 2“ und falls man die SDP als Partei anerkennen müsse schlug der Polichef vor, daß durch die Volkskammer „eine Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit der 'SDP‘ getroffen wird.“ Variante 3: „Der Generalstaatsanwalt der DDR wird beauftragt“, zu prüfen, ob bei der Gründung der SDP strafrechtlich relevante Handlungen vorgekommen sind. Diese „Variante 3“ könnte für Dickel ggf. „bei erfolglosem Vorgehen gemäß Variante 1 zur Anwendung kommen“.

Einen anderslautenden Bescheid erhielt die SDP erst am 6. Dezember.

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