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Ausländer raus - Deutsche rein?

■ 150 Vietnamesen sollen ihren Arbeitsplatz verlieren / Die freiwerdenden Stellen werden von Deutschen besetzt

Die zunehmende Ausländerfeindlichkeit in der DDR greift jetzt auch auf Betriebe über. Am 21. Februar wurden 150 Vietnamesen, die seit Dezember 1988 im Betonwerk 5 des VEB Betonwerke(4)-Wohnungsbaukombinat beschäftigt sind, informiert, daß sie ab 5. März bei Rewatex eingesetzt werden sollen. Die freiwerdenden Stellen würden an arbeitslose Deutsche vergeben. An den neuen Arbeitsplätzen würden sie nur noch 600 M Netto verdienen, gegenüber 1000 M vorher.

Etwa 100 der Vietnamesen nahmen die Versetzung an; 42 wehrten sich jedoch dagegen. So wurden sie zunächst nicht versetzt. Bei zwei Aussprachen mit der Kaderleitung am 6. und 12. März forderten sie ein Überbrückungsgeld (gemäß §121 AGB) und die Einhaltung der Drei-Monats-Frist (§52 AGB). Beide Forderungen wurden abgewiesen. Auch das Angebot der Vietnamesen, eine Ein-Monats-Frist hinzunehmen, fiel auf taube Ohren. Am 6. März erklärte die Kaderleitung den Vietnamesen, so Gruppenleiter Li Quang Chau, sie hätten sofort die Überleitungsverträge zu unterschreiben - diese wurden ihnen aber nicht gezeigt - und würden dann am 12. März versetzt. In den Überleitungsverträgen steht, daß die Arbeiter keinen Anspruch auf Überbrückungsgeld stellen.

Als sie sich weigerten, wurde ihnen am 12. März mitgeteilt, daß ihnen ansonsten zum 1. April gekündigt werde. Durch diese Drohungen haben nochmals 20 Vietnamesen ihren Arbeitsplatz verlassen. Zwei haben gar einen Antrag auf Ausreise nach Vietnam gestellt.

Sergei Skorynin, Vorstandsmitglied der vor einigen Monaten gegründeten „Vereinigung der ausländischen Bürger“ (VdaB), er- klärte die vietnamesische Botschaft den Arbeitern, sie hätten den Sozialismus aufzubauen und sollten keine Hilfe erwarten - schließlich könnten sie ja auch in Vietnam arbeiten. Wie auf einer Versammlung der VdaB am 12. März bekannt wurde, sah sich auch der FDGB außerstande, Hilfe anzubieten. Bisher fand sich kein Rechtsanwalt in der Lage diesen Fall aufzunehmen. Die Vietnamesen hoffen jetzt auf breitere Unterstützung durch die Öffentlichkeit. Außer dem Neuen Forum haben sich schon laut VdaB Vertreter der SPD, der Grünen Partei und des DA solidarisch geäußert. Man erwartet auch Hilfe von der neuen Ausländerbeauftragten der Regierung.

Dominic Johnson

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