: Die „Vergangenheitsbewältigung“ des DA
■ Nach dem Fall Schnur geht der Demokratische Aufbruch zur Tagesordnung über / Eppelmann Nachfolger
Vom Decknamen „Torsten“ zum Spitzeninformanten „Dr.Schirmer“ - die Stasikarriere des Wolfgang Schnur kann sich sehen lassen. Seine Partei verschloß trotz aller Hinweise die Augen. Erst auf Druck der CDU in Bonn trennte sich der DA von seinem Chef und will plötzlich nichts mehr von ihm wissen.
Berlin (taz/dpa/adn) - In der Sendung „Prisma“ des DDR -Fernsehens hat am Mittwoch abend ein ehemaliger Stasi -Offizier, unter dessen Führung Schnur jahrelang gearbeitet hat, beredte Auskunft gegeben über das, was der zurückgetretene DA-Vorsitzende dem Geheimdienst jahrelang gegen gute Bezahlung geliefert hat. Seit 1964, als er als 18jähriger eine Verpflichtungserklärung zur Mitarbeit unterschrieb, sei Schnur für die Stasi tätig gewesen. Er habe vor allem Informationen aus kirchlichen Basis-Gruppen, Friedenskreisen, Umwelt- und Menschenrechtsinitiativen geliefert. Als man zwischenzeitlich bei der Staatssicherheit vermutete, daß Schnur ein Doppelspiel trieb und auch bundesrepublikanische Behörden mit Informationen bestückte, erhielt er den neuen Decknamen „Heuchler“. Den Verdacht, Doppelagent zu sein - der sich inzwischen nach den Ehrenerklärungen aus dem Innerdeutschen Ministerium in Bonn bestätigt hat - konnte Schnur damals jedoch ausräumen. Er stieg, so der Ex-Stasi-Offizier in der „Prisma„-Sendung, zum „Spitzeninformanten“ namens Dr. Schirmer auf.
Während Schnur immer noch bestreitet, für seine Stasi -Mitarbeit Geld bezogen zu haben, erklärte sein Stasi -Führungsoffizier, er habe für Aufwendungen und Prämien Beträge von jeweils mehr als 500 Mark kassiert. Schnur habe auch Auszeichnungen von der Stasi bekommen, die ebenfalls mit Geld honoriert wurden. Den letzten Stasi-Orden soll er noch am 7. Oktober 1989 anläßlich der Jubelfeier zum 40jährigen Bestehen der DDR erhalten haben.
Nach Informationen des Unabhängigen Untersuchungsausschusses in Rostock lagern in der dortigen ehemaligen Stasi-Zentrale 33 Aktenordner über Schnur. Davon sind nur 11 über ihn als Person. Alle anderen Unterlagen enthalten „Treffberichte“ und Berichte von Schnur selbst. Außerdem existiere ein Ordner, in dem Schnur Geldzuweisungen der Stasi quittiert hat. Generalstaatsanwalt Dr. Hans-Jürgen Joseph bestätigte am Mittwoch abend die Echtheit der Akten. Schriftgutachten hätten eindeutig ergeben, daß die Unterschriften in den Akten tatsächlich von Schnur stammten. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen ein Strafverfahren gegen den Rechtsanwalt wegen falscher Anschuldigung eingeleitet, denn der hatte seinerseits Anzeige gegen Unbekannt wegen Verleumdung erstattet.
Gegenüber der Bild-Zeitung strickte Schnur gestern eine neue Legende: „Ich bin 1964 durch Prügel und folterähnliche Methoden gezwungen worden, eine Verpflichtungserklärung für das Ministerium für Staatssicherheit zu unterschreiben“. Er habe sich nichts vorzuwerfen, denn er habe ausschließlich für seine Mandanten gearbeitet, schrieb der geständige Anwalt vom Krankenbett aus der Springerpresse.
Inzwischen ist das Verhältnis zwischen Schnur und seinen ehemaligen Parteifreunden vom „Demokratischen Aufbruch“ auf den Gefrierpunkt abgekühlt. Der DA-Leipzig hat am Mittwoch sämtliche Vertrauenserklärungen für Schnur als „nicht gegeben“ bezeichnet. Und während Schnurs „Freund“ und voraussichtlicher Amtsnachfolger, Rainer Eppelmann, sich „traurig und empört“ zeigte(s. Artikel auf dieser Seite)'weigerte Schnur sich seinerseits, Eppelmann im Krankenhaus zu empfangen. Stattdessen zitierte er überraschend Ministerpräsident Modrow ans Krankenbett. Bei dem Besuch bat er Modrow nicht nur um Schutz für seine in Rostock und Berlin lebende Familie, sondern entschuldigte sich offenbar auch für die Angriffe, die von seiten des DA in den letzten Tagen gegen Modrow als „Urheber der Schmutzkampagne“ gestartet worden waren. Diese Äußerungen, so erklärte Schnur im persönlichen Gespräch mit dem Ministerpräsidenten, stammten nicht von ihm. PDS -Vorsitzender Gysi verlangte währenddessen eine offizielle Entschuldigung des DA-Generalsekretärs wegen der Anschuldigung, Modrow und er hätten den Stasi-Vorwurf gegen Schnur in die Welt gesetzt.
Ve.
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