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Niemandsland DDR

Rainer Fetting und Trak Wendisch befragt von Asteris Kutulas  ■ Kutulas: In einer Fernsehsendung über die Ausstellung

„Bilderstreit“ haben sich die amerikanischen und die deutschen Malerkollegen - verkürzt gesagt - gegenseitig vorgeworfen, die jeweils anderen könnten eigentlich nicht malen...

Fetting: Was mir auffällt, ist eine ähnlich bestehende Haltung zur Malerei in Amerika wie in der DDR. In Amerika läßt sich das zum einen ablesen aus dem, wer dort als Maler ernstgenommen wird und existiert. Zum anderen an der Kritik zur eigenen Arbeit. Das klassische Mißverständnis, daß gute Malerei das ist, was nach viel Arbeit aussieht. So wird mir dort sehr oft vorgeworfen, ich würde luschig malen. Das Gegenteil ist der Fall. Hingegen können Bilder, in denen eine Person „fotografisch genau“ wirkt, sehr unkonzentriert und nichtssagend gemalt sein. Die Möglichkeit von Malerei liegt doch wohl nicht in illustrativer, photoähnlicher Nachbildung oder akademischer Langeweile... Wo ist da die Lust am Bild, an der Malerei? Man hat das Gefühl, daß nur so 'ne Hausaufgabe gemacht wird...

Die Amerikaner haben jedenfalls in der Malerei keine Tradition. Da geht ihnen sicherlich etwas ab. Die verstehen was vom Film.

Wendisch: Und das ist das, was ich vielleicht am stärksten empfinde. Irgendwie kommen mir die Bilder eher synthetisch vor, nicht authentisch. Ich glaube, man kann dieses Problem nicht auf den Ost/West- oder den Europa/Amerika-Streit und ein pauschales „they can't paint“ reduzieren. Maler, die nicht malen können, sind überall eine Mehrheit, und kaputtgemacht wird zwar überall auf verschiedene Weise, aber mit dem gleichen Effekt. Im Osten war es fast unmöglich, eine spielerische, lustvolle Arbeitsweise zu haben, weil das Leben unter einem puritanischen Totalitarismus einfach zu selten Spaß machte.

Fetting: Das haben die Amis ja nun nicht. Die sind ja in der Hinsicht frei. Allerdings scheinen mir viele Künstler in New York unter dem Druck von Erfolg zu stehen. Sie entwickeln einen eigentümlichen Ehrgeiz, der einen künstlichen Erfolg zur Folge hat. Sowas bricht dann irgendwann ein.

Kutulas: Worin besteht dann für Dich das „Eigentliche“ der Malerei. Ist es näher definierbar?

Fetting: Ja, sich überraschen lassen. Eigentlich mit der Malerei spielen. Nicht Umrisse ausfüllen.

Wendisch: Ich kenne das ja aus einem ganz knallharten akademischen Studium heraus, was mir die Lust über Jahre genommen hat, dieses Nicht-mehr-überrascht-werden, sich nicht überraschen lassen können. Ich male auch mit totaler Lust erst zwei, drei Jahre, obwohl ich schon die ganze Zeit gemalt habe, permanent. Aber diesen Punkt - nicht unbedingt die fünfundzwanzigste Hand malen zu müssen, wenn sie eben aus irgendwelchen Gründen dran ist - dazu mußte ich erst kommen, ihn wiederfinden nach dem Studium. Also nicht einfach ein Blau, mit einem Blau leben zu können, sondern mit einem Himmel leben zu müssen. Und darum dieses Blau nicht einfach dorthin zu machen, wo es hingehört, sondern dort, wo Himmel kommt. Also einfach nicht ein großes Blau, aus einem großen Blau, daraus was zu entwickeln, sondern zu sagen: Hier ist oben, und da ist unten. Das ist eine Denkweise. Ich hab mich mit Heisig bis auf's Messer darüber gestritten, weil mich diese Stahlhelme und Spruchbänder angekotzt haben, obwohl er ein großes Gefühl für Malerei hat, wenn es zum Beispiel um Graus geht. Es gibt zum Beispiel Graus, die eben toll kommen. Und im Hintergrund manchmal solche Stellen, fantastisch, da möchtest du... Und denn kommt vorn oft irgend eine blöde Geste, die nicht funktioniert. Aber ich bin nicht so schnell fertig mit dem alten Heisig; der ist für mich so eine Vaterfigur, auch wenn ich diese Figur bereits mehrfach ermordet habe.

Kutulas: Rainer, Du hast vorhin einen interessanten Nebensatz gesagt: daß nämlich die Amerikaner im Gegensatz zu ihren DDR-Kollegen frei wären...

Fetting: Na, das DDR-Problem existiert ja für die nicht. Und darum überleg ich mir, was da der Grund sein könnte, daß sie trotzdem ähnliche Auffassungen haben. So glaube ich, daß der Zwang zum schnellen Erfolg zu Oberflächlichkeit oder auch zu schnellen, akademischen Lösungen führt. Man muß beeindrucken, also bedient man sich der wirkungsvoll erscheinenden Lösung, und das ist im Fall von figurativen Bildern die fotografische oder akademische. Andy Warhol, der das erkannt hatte, hat hierzu seinen Kommentar mit einem extrem zynischen Beitrag geleistet. Alle, die heute versuchen, ihn nachzumachen, haben das leider nicht erkannt, sondern fallen nur auf das äußere Erscheinungsbild herein. Allerdings kann man in New York auch seinen Spaß haben, ohne einerseits diesem Erfolgszwang mit an sich langweiliger, nicht kreativer Arbeit nachzukommen oder andererseits dem Zwang zur permanenten Party nachzukommen. Da gibt es auch die Ein-Mann-Party, die geht von unten los. Mit anderen Worten: Der Alltag in New York und die Arbeit ist schon interessant genug. Die Partyhysterie ist doch nur ein Ersatz für mangelnde Kreativität.

Kutulas: Wann bist du eigentlich in die Staaten gefahren?

Fetting: Das erste Mal 1978. Und zwar nach New York. Nicht in die Staaten. Ich kenn eigentlich nur New York. Als ich 1978 das Studium beendete, besaß ich kein Geld mehr. Hab überlegt, was ich mache. Da bewarb ich mich für ein Austauschstipendium. New York interessierte mich außerdem, weil ich viele Filme gesehen hatte, die in New York spielten. Das waren Filme von Martin Scorcese wie „Main Streets“ oder „Taxidriver“. Sie spielten in Little Italy von New York, und dort wohnte ich auch am Anfang, gleich neben der Bowery, wo die Penner sind. Sehr deprimierend. Dann bin ich mit Leuten in eine Wohngemeinschaft gezogen, in Brooklin, ins Ghetto, wo man in großen Apartements billig wohnen konnte. Später kamen die Schwierigkeiten, und da hatte ich dann einen Film abgedreht. Jedenfalls hat mir das gereicht, und ich dachte: Nie wieder New York! Bin dann auch lange nicht hingezogen, als wir alle bekannt wurden und ich bei Mary Boone ausstellte. Und obwohl alle meinten: Komm hierher, hat es mich nicht mehr interessiert. Erst als ich in einer privaten Krise war, und in einer beruflichen, nämlich dem Bruch mit meinem damaligen Galeristen, ging ich wieder nach New York.

Kutulas: Pendelst du zwischen New York und Berlin?

Fetting: Naja, ich pendle im allgemeinen nicht. Ich fühl mich immer da wohl, wo ich gerade bin.

Kutulas: Du willst dich nicht entscheiden, ob du in Berlin leben möchtest...

Fetting: Nein, ich find die Möglichkeit aber schon gut, mal hier und da rauszukommen. Weil ich eigentlich eher träge bin und gerne da bleibe, wo ich grade bin. Aber auch die Möglichkeit, daß man einen Abstand haben kann zu dem, wo man grade ist, das finde ich sehr vorteilhaft. Das passiert bei mir so: Wenn ich jetzt zum Beispiel hier ausstelle, in Europa, dann bleib ich erstmal hier, bis dann wieder irgendwas in Amerika läuft.

Kutulas: Trakia, Du hast in einem Interview vor kurzem gesagt, daß Dir das auf die Nerven geht: diese Deutschen zwischen Gier und Gewalt.

Wendisch: Es gibt eben halt dieses, was man denkt, fühlt und malt, so abgehoben. Und dann gibt es die Begegnung mit einer Schlange von Menschen, die ansteht, um irgendwas zu erwerben, was sie auf irgend einer anderen Seite zu mehr Geld machen kann und dabei dem Polen die Schnauze einhauen will, weil der auch irgendwas erwerben will, um auf der anderen Seite mehr Geld zu machen. Verstehst du? Die vibrierende Gier der Zukurzgekommenen, die im Moment durch keine Macht unterdrückt werden können und dadurch viel Eigendynamik entwickeln, die mit den von Politikern und Künstlern unterstellten Motiven für den Umsturz kaum noch zu tun hat. Also insofern: Mich beschäftigen zum ersten Mal auf Bildern Massen. Mich haben immer nur Einzelne interessiert bis jetzt. Und das erste Mal ist für mich Masse unumgänglich geworden in Bildern. Und das meinte ich in dem Interview. Masse plötzlich nicht mehr als geordnente, von Punkt a nach b zu verschiebende, einzusetzende Masse, sondern als vollkommen unkontrollierbares, wahnsinniges Energiepotential. Das paßt gut zusammen mit meiner wachsenden Lust an der Farbe als plastischem Material. Fähig zu Strudeln, Schründen und Abgründen.

Kutulas: Interessiert Euch die derzeitige Situation thematisch für Eure Bilder?

Fetting: Das kann ich jetzt nicht sagen, direkt nicht. Das sagt dann die Arbeit.

Wendisch: Das muß man in ein paar Jahren sehn. Man muß sehen, was dabei rauskommt. Ich habe einfach ein besseres Gefühl, als ich vor einem Jahr hatte. Beschreiben kann ich es nur ganz allgemein. Es ist einfach irgendwie was im Gange. Und wenn's im Untergang ist. Aber es ist im Gange. Und das ist mir einfach sympathisch.

Kutulas: Rainer, kannst Du Dir Deutschland eins denken?

Fetting: Na, ich leb in Berlin. Und an Berlin interessiert mich halt, daß das alles offen wird. Wenn ich sagen soll: Deutschland eins, - warum auch nicht. Das sind andere Länder ja auch. Obwohl...

Vorabdruck aus SONDEUR Nr. 1

Das vollständige Interview erscheint am 10. April in der Zeitschrift SONDEUR 1/1990.

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