: Die Wahl in der Presse
Aus den Kommentaren der Medien, die 40 Jahre SED-Herrschaft mitgemacht haben, zur Abwahl der DDR ■ S T I M M E N Z U R W A H L
Berlin (dpa) - Die Wahlen zur Volkskammer der DDR standen am Montag erwartungsgemäß im Mittelpunkt der Kommentare der DDR -Presse:
„Neues Deutschland“ (Zentralorgan der Nachfolgepartei der ehemaligen Staatspartei SED): “... Nach dem Akt der Selbstbefreiung aus bedrückender Enge und demütigende Bevormundung der Akt der Selbstbestimmung. ... Diese Volkskammer hat alles, was allen ihren Vorläufern fehlte die demokratische Legitimation. Wie alle Erfahrungen zeigen, macht ein freies Parlament allein noch keine Demokratie. Jetzt muß sich erweisen, wie die 400 Abgeordneten mit dem Pfund des Vertrauens wuchern. Sie stehen in doppelter Pflicht - vor dem eigenen Volk und vor den Völkern Europas.“
„Neue Zeit“, die Zeitung der Ost-CDU, eindeutiger Wahlsieger, kommentiert: “...Für die Mitglieder der Kongreßdelegation aus den USA, welche zur Beobachtung der Wahlen in der DDR weilten, stand der Wahlsieger am Sonnabend schon fest. ...Ein Erfolg der Demokratie. Keine Halbheiten mehr. Die Karre schnell aus dem Dreck ziehen. Drei Stimmen, in denen sich Hoffnungen und Erwartungen an den Ausgang des gestrigen Wahlsonntags artikulieren.“
„Junge Welt“ (die Zeitung der ehemaligen Jugendorganisation der DDR): “...Die Menschen in der DDR haben gewählt, frei, geheim und demokratisch. Das allein ist - unabhängig vom Ergebnis - ein Ereignis von historischer Bedeutung. ... Die Menschen in der Noch-DDR haben gewählt, und sie haben sich klar entschieden: für eine schnelle und kompromißlose Vereinigung mit der Bundesrepublik, für die freie Marktwirtschaft, für die D-Mark.“
„Berliner Zeitung“ (nach eigenen Angaben parteiungebunden): „...Die ersten tatsächlich freien Wahlen in der DDR sind absolviert. Die ersten und, wie sich zeigen wird, die letzten. Noch einmal wird nicht für die Zusammensetzung einer Volkskammer votiert werden. ... Sieger ist die CDU. Die Stimmen für die Allianz und damit hauptsächlich für die alte, neue Ost-CDU galten dem 'einig Vaterland‘. Auf der Verliererbank sitzt ohne Zweifel die SPD.“
„Thüringer Allgemeine“ zu DDR/Wahl: „Als im oktober in Leipzig die Menschen mit dem Ruf „wir sind das Volk“ auf die Strasse gingen, vermochte wohl niemand daran zu glauben, dass bereits wenige Monate spaeter freie, demokratische Wahlen in diesem Land folgen. Nun hat das Volk gesprochen und einen dicken Strich unter eine Vergangenheit gesetzt, die durch Verfolgung Andersdenkender, Misswirtschaft und Arroganz der Macht gepraegt war. Die SED, bis vor kurzem noch scheinbar uneinnehmbarer Hort des Neostalinismus, ist von der historischen Bühne abgetreten. Nicht freiwillig. die Wahl selbst fiel schon nicht mehr so sehr mit dem Blick zurueck, sondern vielmehr mit dem in die Zukunft aus.
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