: Für DDR-Fans
■ Autonome Antifa-Demo gegen Großdeutsche Träumer
Ein paar Tagen noch fischte ich aus meinem Briefkasten herzliche Grüße von Eberhard Diepgen, der sich wohl als Gesamt-Berliner Oberbürgermeister in Erinnerung bringen wollte. Ich hatte darüber gelacht und das gute Stück als Koriosität herumgereicht. Also ist es doch schlimmer gekommen, als wir im Freundeskreis in düsteren Stunden orakeln konnten. Die Stimmung war jedenfalls mies.
Da halfen auch schon beinah das gemein schöne Wetter und die Riesenpackung Gummibärchen, die ich gerade in der Markthalle hatte erhaschen können. Laute Musik und Sprechchöre ließen mich aufhorchen, eine von weitem noch ziemlich düster anzuschauende Menschenmasse kam, Fahnen schwenkend, die Karl-Marx-Allee herunter. Da liefen also derart viele junge Menschen am Nachmittag nach dieser Bananen und D-Mark-Wahl, um für ihr Vaterland - für die DDR
-zu demonstrieren! Ich war nicht die Einzige, die sich da spontan anschloß, auch wenn ich vielleicht vom Outfit nicht ganz dazuzugehören schien. Denn eingeladen hatte die autonome Antifa-Szene. So war das Bild sehr schwarz, ledern, jeansig, manchmal auch vermummt. Daß sich Autonome und Skins in jüngster Zeit wieder regelrechte Straßenschlachten liefern, dürfte sich inzwischen bei den mit offenem Mund staunenden Bürgern herumgesprochen haben. Und so waren mir manche Schutzmaßnahmen der Veranstalter durchaus verständlich. Der Zug trollte sich in Richtung Prenzlauer Allee. Umtöst von der „anderen“ Musik und auch von Busch -Songs, unterbrochen von Sprechchören und Arbeiterliedern. Jugend pur, schräg, laut und links. Die leider seltenen DDR und Arbeiterfahnen an den Fenstern der alten Häuser Berlins wurden freudig begrüßt, beklatscht, gefeiert, und sah man irgendwo die Schwarzrotgoldene ohne Rund folgte ein riesiges Buh- und Pfeifkonzert. Hier brüllte es heraus, was auch schon lange in mir wirkte: „Aufruhr, Widerstand, es gibt kein einig Vaterland!“, „Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazipest!“ Nie wieder Deutschland. So unendlich gut habe ich mich lange nicht gefühlt, wie inmitten dieser ungefähr 2.000 Gleichgesinnten in Richtung Herz von Berlin, Prenzl‘ Berg. „Coca Cola, Büchsenbier, Helmut Kohl, wir danken dir!“ Ja, Kohl bläht. Und Berlin bleibt rot!
Kerstin Reinsch
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