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Hosen runter, deutsche Recken!

■ „Hammersichelährenkranz - also/Arbeitsgeräte & Flanzen! - sind/ m i r doch immer noch lieber als irgendein plattgeschlagenes/ GroßRaubtier! 'n Löwe oder 'n/Geier oder so.“ Arno Schmidt (1960)

Na fein, jetzt haben wir frei gewählt und sind bald richtige Deutsche! Das Wetter war ja auch prächtig am Sonntag und welcher Muffel wollte da noch in die Einheitssuppe spucken? Kurt Buchwald hat es sich erlaubt, mit einer Aktion in der dafür prädestinierten Galerie Weißer Elefant, am 16. März. In Leipzig oder Dresden wäre das gewiß zur Mutprobe geworden. In Berlin aber konnte man noch zwei Tage vor der Wahl „Deutschland verrecke“ sagen, ohne unbedingt ein paar Zähne einbüßen zu müssen.

Den Raum zierte auffällig ein Spruch, der in jede gute deutsche Stube gehört:„Ordnung und Sauberkeit muß sein“. Dann wurde die DDR-Fahne gehißt und die Maschinen in Gang gesetzt, zu einer Lärm-Collage im Wettstreit aus Heimatklang und dem derben Charme der Arbeitswelt. Wer da nicht munter wird, ist ein schlaffer Sack und wird aufgehängt! Nur „Arbeit macht frei“. Die Hörner eines Rindviechs aufgesetzt, zeigt man am besten, wo man steht und die Tuba intoniert das Deutschland-Medley - rückwärts. Zurück in die Zukunft: da geht das Licht aus. In der Nacht heult ein Hund, Wotan beschwört den heiligen Bund. Marschmusik und Stiefelknall bis zum letzten Bombenfall. Wenn die Sirenen schweigen, kann neues Licht aufsteigen. Der Wolfshund wimmert um die heiligen Trümmer, während wir uns überleben: Hurra, wir sind am Brandenburger Tor! Teutonenmut mit arisch Blut reißt den Fetzen 'runter: weg mit dem Emblem - das ist die Freiheit, die wir lieben. Wir schlagen alles klein und kriegen für die Trümmer endlich so viel Deutschland wie wir wollen. Nur einer läßt die Hosen runter und pißt an's geschwärzte Tor, weil er dem Kinderlied nicht traut: Heile heile Gänsje / wird schon wieder gut / heile heile Mausespeck / in hundert Jahr'n ist alles weg...

Ralf Bartholomäus

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