: Am Anfang war die Flucht in den Walzer
■ Taboris Stück „Mein Kampf“ in Langhoffs Inszenierung am Maxim-Gorki-Theater, Berlin
Hitlers Jugendjahre in Wien, die Vorgeschichte des Mannes ohne Vorgeschichte, benutzt Tabori in seiner Komödie der Aufklärung. Die Komödie vermittelt den Aberwitz der Geschichte, daß Aufklärung aber immer wieder im Mythos zerfällt und die Möglichkeit von Vernunft, dennoch die geschlossene Welt zu verhindern. Wie Aufklärung sich stets befreit aus dem Irrationalismus, aus dem Zwielicht, das Hitler der dilletierende Kunstmaler (in vulgo: der Anstreicher) zur Beleuchtung seines vitalen Realismus‘ a la Brecker bevorzugt, und doch immer wieder vom Irrationalismus in die Knie gezwungen wird, ist das Thema des Stückes.
George Tabori hat nicht nur Adorno und Horckheimers „Dialektik der Aufklärung“ für die Bühne bearbeitet, er hat das Dilemma menschlicher Gesellschaft kammerspielhaft auf die Bühne gestellt. Er nennt dieses Stück theologisch - und das ist es auch. Es handelt von einer Liebe, die Versöhnung der Extreme übt. Herzl, der Jude, umsorgt Hitler, den Antisemiten. Die Aktualität der Versöhnung fußt auf der Forderung, den Faschismus (oder Stalinismus etc.) in sich abzubauen.
Weder Faschismus noch Stalinismus funktionierten, wenn es nicht etwas im Menschen gäbe, was dem entspricht. Um dahin zu gelangen bedarf es der Ungezwungenheit des Witzes: das Stück ist, wie Tabori sagt, ein theologischer Schwank. Dieses Angebot nutzte Langhoff konsequent und gekonnt. Witz und Aberwitz von Geschichten und Haltungen legen die Dimension menschlichen Verhaltens bloß und warnen.
In Wien krachten die Widersprüche der österreichischen Endzeit-Gesellschaft, dürftig vom Walzer kaschiert, aufeinander - ein Vielvölkerstaat, eine Supermacht, die sich in Auflösung und in Dekadenz befindet. Die einen sind nostalgisch, die anderen demokratisch, die nächsten revolutionär und wieder andere völkisch-vital.
Es ist wieder einmal ein Jahrhundertende erreicht. Und wie immer in Zeiten der großen Verunsicherung werden Sündenböcke eher gefunden als gesucht. Die Onkelhaftigkeit macht dem Haß - dem Judenhaß - dem Ausländerhaß Platz. Der Ausländer, der Jude, der andere schlägt, lügt, meuchelt, vergewaltigt und vor allem: er wäscht sich nicht.
Aber Taboris Komödie ist auch ein Hohelied. In der Gestalt des Schlomo (hebr. für Salomo) tritt Vernunft als Ewiger Jude auf, der duch die Geschichte geht und sie kennt, der die Apokalypse zu verhindern sucht und in seiner ewigen Liebe zum Menschen fast unmenschlich wirkt. Schlomo sucht nach dem Sinn der Dichtung. Wieviel Antworten er auch finden muß, der Sinn der Dichtung ist immer ein menschlicher, indem er ausspricht, daß die Welt nicht aus Dualismen besteht. Die Geschichte von Schlomo Herzl, dem fliegenden Buchhändler im fin de siecle der k.u.k. Monarchie, wird erzählt, der in einer Männerpension unter der Metzgerei der Witwe Merschmier in der Blutgasse ein Asyl hat, und im endlosen kabalistischen Streit mit dem koscher-Koch Lobkowitz lebt. In dieses Leben platzt der „ungelenke“ junge Hitler aus „Braunau am Inn“, der sich mit den Zeichnungen „Maiskolben im Zwielicht“, „Hund im Zwielicht“, „Mutter im Zwielicht“ an der Kunstakademie bewerben will. Deutschnational tritt der Österreicher Hitler auf, mit Kaiser-Wilhelm-Bart und er ist antisemitisch, zugleich aber ängstlich, unsicher und hypochondrisch bis zum Exzeß. Zunächst machen sich die Juden einen Witz daraus, Hitler immer wieder aus dem Zimmer zu schicken, um ihn das Hereinkommen zu lehren, dann aber lebt dieser Hitler sich ein.
Er ist so rührend unbeholfen, daß Schlomo ihn bemuttert. Da bleibt Lobkowitz nur noch, sich mit der Bemerkung zu verabschieden, daß Schlomos Güte Hitler gegenüber bereits an Masochismus grenze und Mütter eben mit dem Schwert im Arsch sterben. So endete Schlomos Mutter anläßlich eines Progroms. Die Anspielung wird zur Warnung. Die Liebe zum Deutschen wird dem Juden zum Verhängnis. Taboris Komödie spielt auf den Höhen der Farce mit der Tragik - es hat sich schon jemand totgelacht. Langhoff schickt die Inszenierung auf den schmalen Grad zwischen Farce und Tragödie. Er reitet nicht auf dem Ernst der Geschichte herum, er will hinter den Ernst der Geschichte kommen, wo Vernunft wieder einmal den Schlagring irrationaler Ideologie übersieht.
Langhoff gelingt es mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit, die Dialektik der Aufklärung auf die Bühne zu stellen, sinnlich und warnend. Unstreitig gehört die Inszenierung zu den großen Berliner Inszenierungen, wo ein gutes Stück, ein handwerklich versierter Regiseur und Schauspieler von Format sich in glücklicher Weise fanden. Klaus Manchens Herzl wird in seiner stillen Heiterkeit zum Mahner, zum Weisen, der Opfer seiner Weisheit wird und der sowenig entrückt ist, daß ihm weder Hunger noch sexuelle Gelüste fremd sind. Manchen erliegt weder der Gefahr, den Herzl zu verkitschen, noch ihn zu karrikieren. Er erinnert in der Genauigkeit des sozialen Gestus an Figuren Scholem Alejchems. Der Mann kommt geradewegs aus dem Leben und ist doch ein Witz. In Hitler päppelt er seinen Tod auf. An Zwischentönen mangelte es Manchens Herzl nicht, der ist kein Popanz, der ist ganz da.
Hitler nun - ganz jung, ungelenk, ganz Braunau am Inn, einer der mit der Tücke der Objekte kämpft, der mit der Tücke seiner selbst zu kämpfen hat, der den Makel der Unehelichkeit auszulöschen sucht, eine der Bürger und Künstler und Akademiker sein will, den aber niemand läßt und der sich nicht durchsetzt - wird von Götz Schubert stilsicher in seiner ganzen Lächerlichkeit und seiner ganzen Gefährlichkeit gezeigt, ein Valentin ohne Witz und Geist, ein Pierre Richard ohne Esprit und Charme, einer eben, der Braunau am Inn nicht verlassen wird. Aber auch Braunau am Inn wird ihn nicht verlassen, es wird ihn wählen zum Reichskanzler. Schubert spielt den Hitler als Schlangenei: unter der Unsicherheit wird die Gefährlichkeit des krankhaften Diktators erkennbar. Wenn dieser Hitler sich stark fühlt, wenn er nicht gerade Schlomos Hilfe beim Anziehen oder beim Schuhe putzen benötigt, donnert er gegen die Juden (die Ausländer), denn er will die Welt beherrschen und die Neger weißschrubben. „Ich will geschrumpfte Leute um mich haben.“ Schubert spielt, wie Hitler zu Hitler wird, das Schlagenei sich auswächst. Nach allem Slapstick, plötzlich Schuberts Kopf im Punktscheinwerfer: das Publikum ist mit Hitler konfrontiert, die Einfühlung ist perfekt, dem Publikum schauderts.
Hetterle spielt den Lobkowitz gar so irr nicht, sondern eher als einen kauzigen Koch, der mit beiden Beinen im Leben steht, unbeschadet des Spleens, Gott zu sein. Wie Gott billigt er zwar Herzl-Fausts Umgang mit dem Teufel nicht, doch läßt er ihn geschehen. Herzl-Fausts Gretchen, gespielt von Gundula Köster, will das Noviziat abbrechen und nicht Nonne werden. Dieses Gretchen ist vor allem sehr blond. Später, wenn sie sich Hitler nähert, wird ihr schönes offenes Haar in langweilige deutsche Zöpfe gezwungen. Rein. Rein aber ist sie wirklich in der Beziehung zu Herzl. In ihrem Versuch, Schlomo zu verführen, wünschte ich mir mehr Sinnlichkeit, lag dieser Mangel eher an Unsicherheit der Schauspielerin als am Regiekonzept. Dennoch bekommt das Gretchen im weiteren Spiel immer mehr Existenz, wird zum Erlebnis, wenn es verführt wird von Hitler und dessen Kumpanen, wenn es plötzlich im Rausch der Macht den Pöber erkennt, die Dummheit und die Rohheit.
Hansjürgen Hürrigs Himmlichst wird zum Kabinettstück auf den pedentischen und bürokratischen Henker, der sich mit Lust zunächst an Hühnern vergeht, wie er sich an Menschen vergehen wird. Wenn das Huhn Mizzi geschlachtet und „zubereitet“ wird von einem Himmlichst, der einem KZ-Arzt ähnelt, und der Hühner-Torso schließlich an einen Menschen erinnert, gefriert mir das Blut in den Adern und ich begreife die Gefahr der Banalität. Endlich tritt der Tod auf als grande dame, überzeugend gespielt von Monika Lennartz. Gefährlich, verführerisch, scheinbar kommod. Hitler soll ihm als Würgeengel dienen. Alles in allem das Glanzstück einer Ensemble-Leistung.
Langhoff tat gut daran, dieses Spiel so unverkrampft, so leicht, und doch warnend genug zu inszenieren. Er tat gut daran, uns an den Hitler und an den Schlomo in uns zu erinnern. Denn „am Anfang war die Flucht in den Walzer“ ...
Klaus-R. Mai
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