piwik no script img

Sowjetunion-China: Annäherung mit Hindernissen

■ Chinas Ministerpräsident Li Peng besucht Sowjetunion / Keine Hochzeit des russischen Bären mit dem chinesischen Drachen / Neuanfang in der Zusammenarbeit für beide Nachbarn lebenswichtig / Streit um Grenzen und Ideologien

Li Peng befindet sich nicht auf Freiersfüßen. Es ist vielmehr seit über 35 Jahren der erste Besuch eines Pekinger Regierungschefs, nachdem Tschou En Lei Mitte der 60er Jahre in Moskau einen letzten Versuch unternahm, die in Brüche gegangene Ehe zwischen den beiden kommunistischen Giganten zu kitten. Das ist ihm damals nicht gelungen. Die nachfolgende politische und ökonomische Eiszeit zwischen den beiden Staaten wurde von einer maßlosen Hetzpropagande im Stile Göbbels gegen den jeweiligen Rivalen begleitet. Alles wurde unternommen, um den ideologischen und militärpolitischen Gegner - so betrachteten sich Moskau und Peking - größtmöglichen Schaden zuzufügen. Territorialansprüche wurden geltend gemacht. Das führte bis zu bewaffneten Auseinandersetzungen an der gemeinsamen Grenze. 1969 kam es dann am Grenzfluß Ussuri zu größeren Militäraktionen mit tausenden von Toten und Verwundeten. Die Sowjets setzten damals modernste Kampftechnik ein und brachten den Chinesen eine empfindliche Niederlage bei. Nur mit Mühe konnte ein Krieg verhindert werden. In den Folgejahren bauten die verfeindeten Staaten ihre militärische Präsenz in der Grenzregion erheblich aus. Der eiserne Vorhang fiel auch zwischen der SU und China. Jegliche Kontakte wurden eingefroren, Verwandtschaftsbesuche zwischen den gleichen Nationalitäten beiderseits der Grenzen verboten und der Handelsaustausch bis zur Bedeutungslosigkeit zurückgeschraubt. Selbst das Instrumentarium der Stellvertreterkriege setzten die beiden östlichen Großmächte ein.

Erst nach dem Tode von Mao und Breschnew konnten die neuen Führungen in Moskau und Peking beginnen, schrittweise eine allmähliche Normalisierung der Beziehungen anzustreben. Es hatte lange gedauert, bis der Kreml auf die drei Hindernisse einging, die Maos Erben auf dem Wege der Normalisierung errichteten: Abzug der Sowjets aus Afghanistan, Rückführung der vietnamesischen „Freiwilligen“ aus Kambodscha und Beseitigung der militärischen Bedrohung durch die UdSSR.

1989 war es dann soweit, Peking war einverstanden mit einem Gobatschow-Besuch. Im Wonnemonat Mai sollte das große Ereignis stattfinden. Doch die Studentendemonstrationen in Peking sah die chinesische Regierung nicht vor. Es ist natürlich kein Zufall gewesen, daß die studentische Jugend der Milliarden-Bevölkerung zu dem Zeitpunkt aufbegehrte, als der Gast aus Moskau angekündigt war. Sie erhofften sich Unterstützung von dem Mann, der Glasnost und Perestroika initiierte. Auch die Pekinger Führungsriege sah diese „Gefahr“. Soweit sollte die neue Freundschaft mit Moskau auch nicht gehen. Dementsprechend hatte Peking protokollarisch den Besuch auf Sparflamme gehalten. Aber the show must go on - die UdSSR und China sind sich einig, daß ein Neuanfang in der Zusammenarbeit für beide Nachbarn lebenswichtig ist. Eine erneute Ehe wird nicht mehr ins Auge gefaßt, aber eine gute Partnerschaft soll es schon sein. Zum gegenseitigen Vorteil, auf gleichberechtigter Grundlage. Und wie das in Asien zum guten Ton gehört, ist weder Moskau noch Peking an viel Publizität interessiert.

Die Experten beider Länder haben auf den verschiedensten Ebenen eine intensive Arbeit geleistet. Das ideologische Kriegsbeil wurde endgültig begraben. Der Delegationsaustausch stieg sprunghaft an, die Parteibeziehungen wurden wieder aufgenommen. Die Grenze wurde durchlässiger gemacht. Der Grenzhandel auf dem Prinzip Ware gegen Ware beginnt erneut aufzublühen. Im vergangenen Jahr stieg er gegenüber 1988 auf das 2,8fache. Sogar der gewohnte Schmuggel kommt wieder in Gang, seitdem nicht mehr geschossen wird. Im gegenseitigen Warenaustausch ist 1989 eine Rekordmarke erreicht worden - 2,4 Milliarden Rubel. In diesem Jahr sind weitere Steigerungsraten vorgesehen. Bereits jetzt arbeiten mehr als 20.000 Chinesen, überwiegend als Hilfskräfte, in der UdSSR. Mit der vorgesehenen Unterzeichnung des „Langfristigen Programms zur Entwicklung der wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und China“ durch Li Peng und Ryschkow, im April in Moskau, wird positiven Tendenzen in den bilateralen Beziehungen ein neuer Impuls verliehen werden. Auch auf militärischem Gebiet wird angestrebt, bis Ende April einen Durchbruch zu erzielen. Mit einer Vereinbarung über die Reduzierung der Truppen und der Bewaffnung entlang der gemeinsamen Grenze soll die Gefahr militärischer Konfrontationen endgültig gebannt und überwachbare vertrauensbildende Schritte eingeleitet werden. In diesem Kontext hatte Moskau kürzlich beschlossen, bis 1992 alle sowjetischen Truppen aus der Mongolei abzuziehen.

Eine überaus sensible Frage stellte die mehr als 7.300 Kilometer lange gemeinsame Grenze dar. Die wurde bis vor wenigen Jahren von China nicht anerkannt. Eine exakte gemeinsame Grenzmarkierung fehlte. Entsprechende topographische Karten waren nicht vorhanden. Die gemeinsame Kommission zur Grenzfestlegung, die im Vorfeld des Gorbatschow-Besuchs eingesetzt wurde, hat ganze Arbeit geleistet. Bis auf wenige hundert Kilometer ist der Grenzverlauf festgelegt und markiert worden. Obwohl für die restlichen Kilometer die Ansichten stark auseinandergehen, hofft man im Kreml, auch dieses Problem bis Jahresende abhaken zu können. Das wird aber nicht ohne territoriale Zugeständnisse möglich sein.

Es sind keine freundschaftlichen Gefühle, die den chinesischen Drachen in die Höhle des russischen Bären führen. Es ist die pragmatische Einsicht, daß beide Großreiche an ihren Grenzen Ruhe brauchen, damit sie ihre angeschlagenen Kräfte auf die Lösung der inneren Probleme konzentrieren können.

Klaus Walter

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen