: SED-Beton-Ära
■ Theaterbau in Potsdam - Potsdamer Bautheater?
Schon vor der Wende hinter den Kulissen von der SED -Bezirksleitung Potsdam eingerührt: ein neues, endlich das Theater für Potsdam! In echt postfeudaler Geberpose tritt der Rat des Bezirkes Potsdam von der Auftraggeberschaft zurück. Großzügig, nach Art eines echten Gönners, überläßt er diese dem wahren Souverän - der Kommune Potsdam. Schließlich ist es doch Sache der Stadt, wenn ein Teater in/von ihr gebaut wird. Außerdem war dieser Rat der Stadt ja im Mai 1989 in der letzten Kommunalwahl nach Art des Hauses als eine echte VOLKSverTRETUNG legitimiert worden. Verantwortlich für diesen Theaterbau bis zu den kommenden Wahlen im Mai 1990 der bisherige Stadtrat für Kultur, Genosse Pacziepny - nein, natürlich der frühere, ehemalige ... Er steht für die neue Zeit: für die neue Kulturstadt Europas, für Potsdam. Ein Schelm, wer Böses denkt. Schließlich wird doch etwas gebaut; nur ein Theater - oder?
Da gibt es doch immer noch in Potsdam so „Unverbesserliche, ewig Gestrige“, die sagen, dieses Theater sei ein „Relikt des Stalinismus“. Ja, sie versteigen sich dazu noch nach der Wende, die Worte der SED ernst zu nehmen; da wird wiederholt, die ehemalige Breite Straße, die heutige Wilhelm -Külz-Straße, die zur langen Brücke neben dem neuen Theaterstandort führt, sei die „sozialistische Magistrale für die Kampfdemonstrationen“. Schlimmer noch, „verbohrt, wie sie sind“, fangen sie an, die Unterlagen des Theaterbaus zu zitieren, in der sogenannten Grundsatzentscheidung (GE) zum Theaterbau stünde: „Der Neubau des Hans-Otto-Theaters am Standort Alter Markt ist städtebaulich so eingeordnet, daß entsprechend der politischen Zielstellung dieser Teil des Stadtzentrums der Stadt Potsdam seinen städtebaulich architektonischen Abschluß durch Bildung einer neuen Platzsituation mit Öffnung des Alten Marktes zum Karl -Liebknecht-Forum erhält.“ Na - und? Schließlich hat damals, was und wie gebaut wurde, die Partei festgelegt. War eben so. Also auch das Theater. Das Theater dort „passend“ zu machen, sei doch nun wirklich Sache der Architekten des Baubetriebs, und wie es dann aussieht, natürlich auch.
Die Kritiker vertreten sogar die These, die Kampfdemonstration sollte links (!) schwenkend sich auf dem eigens dafür geöffneten Alten Markt vor dem neuen Theater versammeln. Völlig aus der Luft gegriffen, ja geradezu böswillig die Behauptung, der 2,5 mal 18,0 Meter große Balkon über dem Theatereingang sei für die SED -Bezirksleitung gewesen, um sich bei Kundgebungen als die „Avantgarde der Arbeiterklasse“ feiern zu lassen. Als Begründung muß wieder ein Zitat aus der „GE“ herhalten; nämlich, daß die „gestalterische Lösung“ ... sich „gemäß Abstimmung mit dem gesellschaftlichen Auftraggeber (Rat des Bezirkes)“ ... „als Ausdruck unserer sozialistischen Gesellschaftsordnung präsentiert.“
Die „Blindheit der unbedeutenden Potsdamer Minderheit“ gipfelt in der Unterstellung, dieses Theater stünde absichtlich beziehungslos zu den historischen Bauten: zu Schinkels St. Nikolaikirche, Jan Boumanns ehemaligem Rathaus und v. Knobelsdorffs Eckhaus daneben und zum Obelisken. Angeblich habe das der ehemalige Bezirksarchitekt Genosse Kohlschütter sogar ausdrücklich gefordert. Der ehemalige Stadtarchitekt, damals Genosse Werner Berg, habe im Lageplan eine dicke rote Linie zwischen dem Eingang des Kulturhauses H. Marchwitza, dem ehemaligen Rathaus und dem Interhotel -Eingang vis-a-vis gezogen, um die Platzöffnung zum Herzstück der sozialistischen Bezirksstadt, dem Karl -Liebknecht-Forum, zu gewährleisten. Die „Neunmalklugen“ behaupten geradeheraus, mit diesem Theaterbau würde den architektonischen Schandtaten wie dem Interhotel, dem Wasserwirtschaftsgebäude, dem Reisebürohochhaus und dem Institut für Lehrerbildung die Krone aufgesetzt - und das für die nächsten 100 Jahre!
Und nun, da doch endlich ein Theater, ein Mehrspartentheater sogar, für 650 Zuschauer entsteht, was machen diese „undankbaren und uneinsichtigen Leute“ in einer Initiative? Sie wollen, verbündet mit den Bürgerinitiativen ARGUS, Neues Forum und Kulturinitiative 89, das im Bau befindliche schöne Theater verhindern! Dazu ist ihnen jedes Mittel recht: wilde Behauptungen sollen dieses Bauwerk für Oper, Schauspiel, Konzert und Tanz zu Fall bringen. Da werden nun in diesem Zusammenhang tatsächlich die Sprengungen und Abrisse der Ruinen des Stadtschlosses, der Garnisonkirche, Heiliggeistkirche, des Palasts Barbarini, des Schauspielhauses und vieler anderer historischer Bauwerke hervorgeholt. Eine tolle Konstruktion: vom Abriß bis zum Neubau - alles ist nur daraufhin konzipiert, Potsdams Identität zu vernichten und durch eine neue sozialistische zu ersetzen, alles durch die SED seit Jahren planmäßig verfolgt! Und dieses Theater sei gewollter städtebaulicher Schlußpunkt dieser Doktrin! Dann kommen sie wieder von einer anderen Seite: Obwohl seit 1986 am Theaterprojekt gearbeitet wurde, habe die SED den Beteiligten die strikte Geheimhaltung abverlangt. Erst nach allen partei- und regierungsinternen Entscheidungen wären im Mai 1989 konkrete Informationen über den Theaterneubau in der Presse möglich geworden. Das ist doch aber sehr undankbar! Wurde nicht in größtmöglicher Offenheit die Architektur des neuen Theaters der Potsdamer Bevölkerung bekannt gemacht? Haben nicht die 'Märkische Volksstimme‘ (SED) und die 'Brandenburgischen Neuesten Nachrichten‘ (NDPD) sogar Modellaufnahmen veröffentlicht, die Ansichten zeigen, wie jeder in seinem Hubschrauber später das Theater bewundern kann?
Sogar eine Ausstellung des Modells gab es für die Bürger im „Konsultationsstützpunkt für Bauwesen“, wo jeder sich ganz genau vorstellen konnte, wie schön das Theater zum gesamten Zentrum paßt. - Und die kritischen Stimmen im Gästebuch, wird darauf erwidert? Aber, muß man eigentlich auf alles eingehen? ...
Dazu kommen die vielen Artikel in der übrigen Lokalpresse zur Erläuterung und zum jeweiligen Baufortschritt. Sogar an eine Perspektive aus der Sicht des vom Stadtbahnhof über die Lange Brücke kommenden Touristen wurde gedacht, damit jedermann sich die „Leichtigkeit“ der Baukörpergestalt, den „Charme der neuen städtebaulichen Komposition“ des Theaters hinsichtlich Massenaufbau und Fassadengestaltung richtig vorstellen könne. Die Kritiker behaupten gehässig, die Fassade zur Havel gliche einer veralteten Bürohausfassade der sechziger Jahre; Ost- und Südseite bewirkten durch ihre funktionellen Zwangspunkte, die Türen zur Anlieferung ebenso wie die Fassade zum Alten Markt, Hinterhofatmosphäre. Dazu käme die Anordnung von mehreren hundert Pkw der Theaterbesucher auf dem Alten Markt. Die Kulissenanlieferung zur Laderampe gegenüber der Nikolaikirche sei eine Geschmacklosigkeit besonderer Art für die „Gute Stube der Stadt“, den Alten Markt.
Großmütig bezeugen die Kritiker ihr Verständnis für das Lob des Intendanten über den Neubau wegen der auch von ihnen unbestrittenen katastrophalen Arbeitsbedingungen der Künstler und Mitarbeiter des jetzigen Hans-Otto-Theaters. Um so härter wird mit dem vielseitigen, langjährigen Volkskammerabgeordneten, kürzlichen Spitzenkandidaten der NDPD, dem Intendanten G. Hammer ins Gericht gegangen; er gäbe sich mit dem Theater zufrieden, wenn es nur funktionierte, das sei die Hauptsache, und er fordere vom Theaterbau keinen Anspruch an die Baukunst.
Ganz besonders bezeichnend ist, daß diese „Besserwisser“ selbst keinen Theaterbau zu Wege gebracht haben und nun versuchen, den Potsdamer Kollegen diese einmalige Aufgabe zu vermiesen. Als Konsequenz gehen außerdem die Künstler und Potsdamer Theaterbesucher leer aus. Sie nehmen ihnen die konkreten Aussichten auf ihr Theater. Die „Neinsager“ forderten bei Baustopp anfangs noch einen Wettbewerb unter Verwendung der bisher gebauten Bühnentürme, jetzt aber doch den totalen Baustopp, weil sich die Runden Tische beim Rat der Stadt am 21. 2. 90 und erneut beim Rat des Bezirkes am 28. 2. 90 zu keinem Baustopp bereiterklären konnten. Für diese „Leute“ spielen wohl die bereits investierten etwa 15 Prozent der Bausumme von 113 Millionen Mark keine Rolle! Ist das die neue Verantwortlichkeit, mit Steuermitteln umzugehen?
Der Streit muß weitergehen - im Interesse der Zukunft des städtebaulichen Gesamtkunstwerkes Potsdam. Es geht um den kostbarsten Standort im Herzen der Altstadt.
In der DDR zeigt vieles, allzuvieles die Handschrift der SED, so auch Potsdams Zentrum mit seinen unsensiblen, brutal und beziehungslos zur historischen Baukunst „angeordneten“ Neubauten.
Die ehemaligen Widmungen und politischen Zielstellungen wollen die noch amtierenden Verantwortlichen auf der kommunalen Ebene nicht mehr wahrhaben - dennoch gibt es sie, und sie stellen die Urheber und heutigen Verteidiger dieses „Polit-Theaters“ bloß. Logischerweise muß ein Bauwerk mit einer politisch derart schwerbelasteten Vorgeschichte und so gravierenden städtebaulichen und gestalterischen Mängeln gestoppt werden.
Das alte Schauspielhaus, dessen wiederverwendbare Ruine auf Veranlassung derselben SED noch 1966 gesprengt wurde, trug die überraschende Widmung: Dem Vergnügen der Einwohner. Diese Inschrift bezeugte die geistige Wende der damaligen Erbauer, sie entsprang dem Geist einer neuen bürgerlichen Freiheit und ersehnter Gleichheit der Bürger, die die französiche Revolution 200 Jahre vor dem November 1989 in der DDR erzwungen hatte. Dieser Tradition sollte das neue Theater verpflichtet sein, auch in Standort, Form und Funktion des neuen Theaters. Es gibt noch die reale Chance zur Umkehr durch Baustopp, zu einem Neuanfang.
Christian Wendland
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