: Wagen Sonne Pfauen Pferd
■ Neue „Blaumeier„-Ausstellung im Schnoor / Mitleid-Bonus überflüssig
„Das Pferd Markus, das am Sonntag, dem 25.Februar 1973, bei strahlender Sonne, begleitet von einer riesigen Menschenmenge, Triest durchquerte, verkörperte einen hoffnungsvollen ... Traum, ein Kollektiverlebnis, das in der Werkstatt der ehemaligen Station P des 'Ospedale San Giovanni‘ in Triest erfunden, geschrieben, gemalt und gesungen wurde. Patienten, Ärzte, Pfleger und 'Künstler‘ beteiligten sich an einem mehrere Wochen dauernden theatralischen Prozeß, in dessen permanentem Improvisationsspiel sie
unter der gemeinsamen Idee des blauen Pferdes Raum, Zeit und den Körper neu entdeckten ... Die Kranken waren von den Gesunden nicht mehr zu unterscheiden.“ (Katalog: „Die Prinzhorn Sammlung“).
Dieser Aufbruch aus dem Irrenhaus kam einige Jahre später auch in Bremen an: 1986 gründet sich das „Projekt Kunst und Psychiatrie“ im „Blaumeier-Atelier“ in der Travemünder Straße zu Walle. Kunstprofis, BetreuerInnen und ehemalige „Blankenburger“ (Psychiatrie-PatientInnen)
treten seitdem mit aufwendigen Großaktionen und Straßenspektakeln wie „Schwesterchen was machst du“ am Hauptbahnhof und dem alljährlichen „Karne-Walle“ an die Öffentlichkeit. Individuelle künstlerische Arbeit wird in regelmäßigen Ausstellungen (zuletzt in der Rathaushalle) vorgestellt.
Dieser Tage präsentiert sich Blaumeier mit aktuellen Bildern in der neuen Schnoor-Gaststätte „Wüste Stätte“ (s.Kasten). Zum Spektrum der gezeigten Bilder gehören naiv -figürliche, ab
strakt-grafische und flächig-abstrakte, dabei intensiv farbige Arbeiten, die sich problemlos noch Qualität vergleichen lassen, weil Qualität zu sehen ist. Ein Mitleidsbonus angesichts schwerer Behinderungen teils schizophrener, manisch-depressiver, süchtiger, teils geistig behinderter KünstlerInnen kommt dem Betrachter nicht in den Sinn.
Alfred Schnieders „Wagen, Sonne, Tier“ komponiert bunte Flächen und grafische Muster; Ralf Stüwe zeigt farblich intensiv eine Figur, aus deren dunklem Gesicht ein Schrei zu kommen scheint; Mariechen Treis skizziert höhlenmalerisch ein „Pferd“ in Scharz und Weiß: kunsttherapeutische Maßnahmen? Auf den Gedanken müßte man erst kommen. Die Blaumeiers schaffen es, eine autonome künstlerische Geste zu entwickeln. Sie erzeugen im Kopf des Betrachters kraft ihrer unbändigen Expressivität schwervergeßliche Nach-Bilder, wegen deren Frische mancher Akademieabsolvent neidgelb werden müßte. Entsprechend fallen die Preise der Bilder (DM 320 - 1000.-) halbwegs korrekt für Vorprofis aus, sind nichts für Mildtätig-Wohlmeinende. Einige haben ihren Besitzer schon gewechselt. Für alle die, denen letztes Jahr in der Rathaushalle Blaumeier-Bilder vor der Nase weggeschnappt wurden, bietet sich bis 13.5. die Chance, in der „Wüsten Stätte“ zuzuschlagen.
Bu
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