: Grundlagen für autonome Gewerkschaftsarbeit
Kongreß der IG Bergbau und Energie / In Bernau stehen die Vorstandswahlen und eine neue Satzung auf der Tagesordnung Alle stimmberechtigten Delegierten wurden von der Basis gewählt / Eine offizielle Delegation der BRD-Schwestergewerkschaft setzt Zeichen ■ Von Anna Jonas
Berlin (taz) - Auf dem ersten Kongreß der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) der DDR, der heute abend in Bernau bei Berlin beginnt, werden die etwa 260, von der Basis direkt gewählten Delegierten eine neue Satzung verabschieden (die erste seit 60 Jahren!), ein Arbeitsprogramm beschließen und einen neuen Zentralvorstand wählen. Damit sollen endlich die Grundlagen für eine autonome Gewerkschaftsarbeit geschaffen werden. Die IGBE in der DDR hat etwa 460.000 Mitglieder, und zu ihrem Organisationsbereich gehören alle Betriebe aus dem Braunkohlen- und Erzbergbau, der Kali-Industrie und der Energie- und Wasserwirtschaft.
Der Stellvertretende Vorsitzende der IG Bergbau und Energie der Bundesrepublik, Hans Berger, wird mit einer offiziellen Delegation zum Kongreß anreisen. Die Teilnahme der BRD -Schwestergewerkschaft erhält angesichts der anhaltenden Diskussion über die reellen Chancen einer demokratischen Erneuerung der DDR-Gewerkschaften eine besondere Bedeutung, denn die IGBE-West gilt traditionell als „antikommunistisch“. Mit ihrer Teilnahme - und einem möglichen Kongreßbeschluß über offizielle zukünftige Zusammenarbeit beider Gewerkschaften - wird daher auch für die anderen DGB-Gewerkschaften ein deutliches Signal gegeben. Dennoch wird die IGBE-West wohl auch weiterhin ein Auge darauf haben, daß die bisher durchaus „überzeugenden Ansätze“ zur demokratischen Erneuerung der IGBE-Ost konsequent ausgebaut werden. Mit einem eher unüblichen Beschluß wurde in der Wahlordnung dieses Kongresses ein Zeichen innerverbandlicher Demokratie gesetzt: Den 15 Bezirksvorsitzenden und 3 Mitgliedern des Arbeitssekretariats wurde kein aktives Wahlrecht zugestanden. Das Mitglied des Arbeitssekretariats, Weißenborn, begründet das damit, daß diese (vor der Wende in ihre Ämter gelangten) Wahlfunktionäre kein durch Neuwahlen legitimiertes Mandat von der Basis haben. Zur Wahl für ein Amt können sie sich jedoch auf dem Kongreß stellen - „und dann wird man sehen, ob sie Vertrauen geniessen und gewählt werden“, sagt Weißenborn.
Die Enthüllungen von Amtsmißbrauch und Korruption im FDGB hatten auch die Einzelgewerkschaften der DDR in ihren Strudel gerissen. Auf der 14. Sitzung des IGBE -Zentralvorstandes im Dezember 1989 waren der Vorsitzende Günther Wolf und das gesamte Sekretariat des damaligen Zentralvorstands von ihren Ämtern „entbunden“ und Wolf aus der Gewerkschaft ausgeschlossen worden. Der Zentralvorstand hatte ein zehnköpfiges Arbeitssekretariat gewählt, dem lediglich drei ehemalige Mitglieder des Zentralvorstandes angehörten - die übrigen sieben kamen aus Bezirksvorständen bzw. Betrieben.
Der Ost-IGBE stehen bald harte Zeiten bevor: Das erwartete „Energiekonzept“ der DDR-Regierung wird besonders die circa 220.000 im Braunkohletagebau Tätigen treffen. Zukunftsichernd sind „Ideen und Konzepte gefragt“, sagte vor Kongreßbeginn eine Delegierte.
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