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■ Trauer um eine Landschaft
Leipziger Öko-Nische fiel Kohlebergbau zum Opfer - Seite 4 Peru vor der Wahl
Ein rechter Wind weht im Andenland - Seite 7
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S A M S T A G 7 . A P R I L 1 9 9 0 14.WOCHE NR.36
Eine Mondlandschaft breitet sich aus, wo noch vor wenigen Monaten der südliche Teil des Leipziger Auwaldes stand. Hier gab es nicht nur Holz, hier lebte eine in der Welt einzigartige Flora und Fauna. Die Leipziger liebten ihre Lauer und das nicht nur wegen des schönen Badesees. Der Kahlschlag total folgte, denn die Kohle sollte kommen.
Total, denn nicht nur die Bäume und Tiere wurden abgeräumt, sondern der Boden gleich dazu. Die Planer in Sachen Kohle hatten es offensichtlich eilig, als sie die Flucht nach vorn in Richtung vollendete Tatsachen antraten. Dabei kämen die Bagger erst nach 1995 hier an den Rand des Tagebaues Cospuden.
Die Menschen, die bislang nur stillen Protest gegen das Tun in ihrem Auwald wagten, sind nun laut und auch mächtiger geworden, seit dem die die alte Macht gebrochen ist.
Protestdemo der Bürgerinitiative „Stopp Cospuden 90“. Scharen von Kindern mit ihren Eltern und ältere Jahrgänge besetzten für Stunden das „Bergbauschutzgebiet“. Eine schaurig-optimistische Szene - weit über 10.000 Menschen mit Transparenten in der Wüstenei. Im Hintergrund wandern unbeirrt die Absetzer der Kohlengrube.
In den zu lesenden und zu hörenden Sprüchen schwangen Wut und Trauer, aber auch ein gutes Stück Hoffnung mit: „Stopp dem Bagger - er schaufelt unser Grab“ oder „Wer heute spielt mit dem Umweltschutz zahlt morgen doppelt für den Schmutz“ und „Eure Fehler von heute sind unsere Sorgen von morgen“.
Die Verfechter des Tagebaus behaupten, Cospuden biete die beste Kohle hier im Revier und den wenigsten Abraum dazu. Der Stopp des Abbaus wäre ökonomischer Wahnsinn.
Die gleiche Vokabel benutzen die Umweltschützer, nur sei eben der Tagebau ökologischer Wahnsinn. Leipzig sei durch die Kohle eine extrem dreckige Stadt, man könne doch ihr nicht die letzten Fleckchen intakter Natur nehmen. Die Zeiten bornierter Umweltpolitik, als man jede Tonne Kohle mehr als einen Baustein gewachsenen Wohlstands ausgeben wollte, sollten doch endgültig vorbei sein. Doch wer kann die Verlockungen der D-Mark einschätzen, wenn es um Ökonomie geht?
Fakt ist, die Kohle sperrt sich gegen die Einwände und stapelt Argumente auf. Das nun bereits abgeholzte Stück Auwald werde das letzte sein, das man beansprucht. Der angrenzende Feuchtwald werde nicht geschädigt werden. Die Kohle sei unverzichtbar und Arbeitsplätze hängen schließlich auch dran...
Auf der Demo sind Reden bekannt, keiner mag sie mehr glauben. Schließlich weiß jeder vom baldigen Auslaufen der Karbo-Chemie, was mit ebensolchen Bürgerbewegungen erstritten wurde. Mittlerweile weiß man auch von den Freunden aus der Bundesrepublik, wie sinnlos verschwenderisch überall dort mit Energie (oder Kohle) umgegangen wird, wo man deren Gewinn (oder Planerfüllung) nach geförderten Tonnen und verbrauchten Kilowattstunden bemißt. Sparen und Umdenken anstatt unsere Wälder zu roden, wäre angebrachter.
Einer der Redner sprach das angebliche Gespenst Arbeitslosigkeit direkt an. „Wenn ich mir das Argument der drohenden Arbeitslosigkeit anhöre, dann erinnert mich das sehr an den Unsinn, daß man nicht abrüsten könne, weil man nicht wisse, wohin mit den vielen Soldaten. Ich kann mir einfach keinen Kohlekumpel vorstellen, der es nicht lernen könnte, Häuser zu bauen.“ Wolfgang Herwig ist Sprecher der Initiative „Stopp Cospuden 90“. Im November vergangen Jahres organisierte er innerhalb des Leipziger Umweltbundes „Ökolöwe“ die Bürgerbewegung und kennt das Hick-Hack mit den Behörden und Vertretern der Kohlewirtschaft bestens.
Während er anfangs nur wenige „Offizelle“ für die Forderungen der Bewegung begeistern konnte, hat er jetzt eine Art „Große Koalition“ am Runden Tisch des Bezirkes für den Stopp zusammenzimmern können.
Dieses Gremium hat sich den Forderungen angeschlossen und auch den Rat des Bezirkes dazu gedrängt.
Plötzlich sind sich alle Politiker einig: der Tagebau ist von Übel. Er muß zum Stehen gebracht werden. Sicher wird auch an die ins Haus stehenden Wahlen gedacht.
Eingeschlossen in die unnachgiebige Haltung der Umweltschützer ist das Verständnis, daß beispielsweise das Grubenwasser nicht von heute auf morgen zufließen darf, daß vor allem aber für die Bergleute ein Sozielprogramm vom Braunkohlewerk erarbeitet werden muß.
Die Lauer, wie sie einst war, wird es nicht wieder geben, dazu war man zu gründlich. Die Umweltschützer halten es für die moralische Pflicht der Kohleleute, wenn jene ein sinnvolles Konzept für die Neugestaltung der Landschaft, einschließlich mit einem Badsee im Restloch, entwickeln.
Wie sagte doch ein Redner: „Wer hier abgeholzt hat, der soll nun auch wieder aufforsten“.
Manfred Schulze
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