Wie lustig ist das Zigeunerleben?

■ Bremer Osterwiese: Viele Schaustellerkinder wachsen heute zu Hause auf - ohne Eltern

Jessica ist sieben Jahre alt und geht schon in die dritte Klasse. Sagt sie. Und sie war auch schon mal in der Zeitung. „Du willst bestimmt wissen, welche Hobbies ich habe.“ Sie ist kaum noch zu bremsen: Schwimmen geht sie gerne, mit Malen und Tuschen versüßt sie sich ihren Alltag.

Eigentlich wohnt sie in Bodenwerder, da, wo ihr älterer Bruder zur Schule geht. Doch Jessicas Eltern sind Schausteller, durchschnittlich acht Monate im Jahr mit ihrem Geschäft unterwegs, nirgends länger als vierzehn Tage. Und Jessica zieht mit. Zur Zeit wohnt sie auf der Bremer Bürgerweide, wo die Osterwiese aufgebaut wird.

Natürlich ist sie im ersten Schuljahr, und mit jedem neuen Markt wechselt sie die Schule. Eingeschult worden ist sie bei

spielsweise in Verden, wenn die Osterferien um sind, wird sie für einige Tage in Bremen lernen. Irgendwann wird das nicht mehr gehen. Dann bleibt sie bei ihrem Bruder in Bodenwerder. Der ärgert sie zwar immer, aber dann kann sie jeden Tag in die gleiche Schule gehen und wohnt bei ihren Großeltern.

Wie ihr Freund Phillip: Der wohnt in Bremen bei Verwandten, ist sechs Jahre alt und geht hier in die Vorschule, um später „viel schlauer zu sein als Jessica“. Phillip wird seine Eltern in den nächsten zehn Jahren nur in den Ferien und in der Winterpause sehen, ein Tribut an das elterliche Geschäft.

„Das ist besser, als unterwegs in die Schulen zu gehen“, erinnert sich Schausteller Heinz-Jürgen Strohmann, heute 32 Jahre alt. Er wechselte als Kind alle zwei Wochen die Schule und kam so locker auf einen Schnitt von 200 Schulen in 10 Jahren Schulkarriere. Seine Stammschule am elterlichen Heimatort hatte ihm ein Schulbuch ausgestellt, in das alle Schulbesuche eingetragen wurden. In der Winterpause prüften dann die Lehrer den Stoff ab und schrieben Zeugnisse. Im März ging es dann wieder für eine Saison auf Achse. „Da ist man immer der Neue, hat keine Zeit für Freundschaften und fährt wieder weg, wenn man gerade die ersten Namen kennt.“

Bis vor drei Jahren gab es in Bremen-Horn noch das Heim „Alte Eichen“. Bis zu 1.000 Mark mußten die Schausteller pro Tag für die Unterbringung ihrer Kids bezahlen. Eddi Armgort, Geschäftsführer des Bremer Schausteller-Verbandes. „Heute ist für solche Heime kein Bedarf mehr.“

Das liegt nicht etwa an der allgemeinen Zufriedenheit. Robert Heitmann, Betreiber des Zerrspiegel-Kabinetts auf der Osterwiese, weiß heute schon, daß seine Tochter auf ein Internat gehen wird. „Nichts ist heute wichtiger als die Schule“ begründet er seine Entscheidung. Und was sagt Jessica? „Je mehr Schulen, umso mehr Freunde.“ ma