: „Ich bin besser als Frau Schreyer“
■ Bausenator Nagel verteilt in einem taz-Interview Ratschläge an die Umweltsenatorin und den Verkehrssenator
Die taz sprach mit Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) über die Stadtplanung im Zentralen Bereich und über die Verkehrsplanung des Senats, in die sich Nagel in letzter Zeit häufig einmischt. Auch seinem Parteifreund, Verkehrssenator Wagner, erteilt der Bausenator Ratschläge.
taz: Herr Nagel, Sie äußern sich in letzter Zeit häufig zu Themen, die auf den ersten Blick nichts mit Ihrem Ressort zu tun haben, etwa zur Stadtplanung im Zentralen Bereich oder zur Verkehrspolitik. Wird Ihnen der Wohnungsbau langweilig?
Nagel: Das ist keine Alternative. Wir haben genügend zu tun im Wohnungsbau, und da sind wir auch ganz gut. Aber ich mache hier keine Sachbearbeitertätigkeit. Stadtplanung und auch Verkehrsplanung haben schon formal was mit uns zu tun. Wir sind nämlich diejenigen, die für die verbindliche Bauleitplanung zuständig sind und für das Bauen. Das ist der formale Aufhänger. Und zweitens sind all diese Fragen ressortübergreifende Fragen. Es gibt keinen Wettbewerb, den Frau Schreyer ausschreibt, bei dem wir nicht einbezogen werden. Und umgekehrt gibt es keinen Bauwettbewerb, in dem wir nicht das Haus von Schreyer einbeziehen. Und das läuft auch ganz gut. Berichtet wird immer über die fünf Prozent der Fälle, in denen wir uns nicht einig sind. Beim Flächennachweis für Wohnungsbauflächen haben wir uns aber in 95 Prozent der Fälle sowohl mit den Bezirken als auch mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz geeinigt.
Rund um den Tiergarten gibt es überall Streit. Im Diplomatenviertel gibt es Proteste, weil Sie die Anlage eines Parks gestoppt haben. Im Moabiter Werder gibt es immer wieder Gezerre um die Zahl der Wohnungen. Und die Bebauung des Potsdamer Personenbahnhofs ist ebenfalls umstritten.
Im Moabiter Werder gibt es keinen Streit. Frau Schreyer verteidigt tapfer das Ergebnis der städtebaulichen Gutachten und wir haben uns geeinigt, daß da zweimal 600 Wohnungen gebaut werden, als rot-grünes Vorzeigeobjekt. Ansonsten gibt es einen Senatsbeschluß, 35.000 Wohnungen zu bauen, und wir hatten uns geeinigt, daß rund um den Tiergarten das Potential ist, wo man einiges machen kann. Die Verdichtung in der Innenstadt hat Vorrang vor dem Bau weiterer Großsiedlungen am Stadtrand. Das ist richtig rot-grün: Das bringt nämlich weniger Verkehr, als wenn man draußen baut.
Aber sind die geplanten 4.000 Wohnungen rund um den Tiergarten überhaupt noch realisierbar?
Ich bin da skeptisch geworden. Im Diplomatenviertel zum Beispiel wird vieles nicht realisierbar sein: Ein großer Teil der Flächen ist dort jetzt nicht mehr verfügbar, weil die Bundesregierung ihre Flächen behalten will. Auch am Potsdamer Platz wird nicht in dem Umfang Wohnungsbau möglich sein, wie das die Stadtentwicklungsverwaltung vorgeschlagen hat. Andererseits gibt es eine Reihe von landeseigenen Flächen im Diplomatenviertel, und zwar ausgerechnet da, wo sich spontane Vegetation entwickelt hat. Da muß man abwägen, und ich finde es besser, hier Wohnungen zu schaffen, damit die Leute dort wohnen können, wo sie arbeiten.
Im Fall des Potsdamer Personenbahnhofs, wo Sie Geschäfts und Wohnhäuser bauen möchten, hatten Sie selbst noch 1986 gefordert, einen „Stadtteilpark“ anzulegen. Dieser Park sei auch „unverzichtbarer Teil der stadtklimatisch notwendigen Nord-Süd-Schneise“. Gilt das heute nicht mehr?
Doch. Wir wollen diese Nord-Süd-Schneise. Wir schlagen vor, nur die Ränder zu bebauen und dazwischen eine drei bis vier Hektar große Grünfläche als Schneise vorzusehen. Das ist so groß wie elf Fußballfelder. Wer mir also erzählt, das sei ein besserer Radfahrweg oder das sei - wie mir jemand in der SPD vorgehalten hat - ein etwas breiterer Trampelpfad, der hat sich diese Flächen einfach nicht angesehen.
Hendrik Gottfriedsen, der sich als Chef der Buga-GmbH ja wohl auf diesen Flächen auskennt, meint, daß die Buga -Konzeption gestorben ist, wenn Ihre Baupläne verwirklicht werden.
Nicht wir kippen die Buga, sondern die Buga hat einfach objektive Schwierigkeiten. Die Grundstücke im Alsen-Viertel zum Beispiel oder einige Flächen im Moabiter Werder wird der Bund vermutlich nicht rausrücken. Und wegen des Lenne -Dreieckes hat sich der Hertie-Konzern schon gemeldet. „Sie können hier ja schöne Grünkeile planen“, hat er uns geschrieben, „aber wir sind die Grundstückseigentümer“. Andererseits plant die Buga-GmbH in Moabit eine ganz andere Buga, eine neue Buga, die ich interessant finde, nämlich Wohnumfeldverbesserung. Wieso kann die Buga nicht im Rahmen von Neubau auf dem Potsdamer Personenbahnhof ebenfalls in dieser Form tätig werden? Ich sagte ja nicht, daß die Buga da gar nicht stattfinden darf. Es ist aber nicht sehr intelligent, Stadtplanung so verbissen zu machen und zu meinen, man müßte alles grün machen.
Sie sprechen von Stadtreparatur. Gleichzeitig wollen Sie die Leipziger Straße auf sechs Spuren verbreitern, was den historischen achteckigen Grundriß des Leipziger Platzes zerstören würde. Wie paßt das zusammen?
Das Oktogon soll beibehalten, aber ganz leicht verschoben werden. Da wird ja keine Autobahn durchgeknallt.
Warum müssen denn unbedingt die Bedürfnisse des Autoverkehrs befriedigt werden?
In solch einem hochverdichteten Bereich werden sie nie alle zum Umsteigen auf das öffentliche Nahverkehrssystem bewegen können, schon gar nicht bei Mercedes. Und was auch in der rot-grünen Verkehrsdiskussion schlichtweg zu kurz kommt, ist der Wirtschaftsverkehr. Die Milchtüten werden nicht mit der S-Bahn zu ihren Kunden kommen. Wir haben da ja erstmal ein Einvernehmen erzielt: Bis Mai lassen wir ein Gutachten machen über die Ost-West-Verbindung und die möglichen Nord -Süd-Verbindungen. Und das ist ja das kritische. Ich bin auch für den Wegfall der Entlastungsstraße, aber ich bin viel besser als Frau Schreyer, denn bei mir fällt die Entlastungsstraße auch im Norden weg, nicht nur südlich der Straße des 17. Juni. Aber wir brauchen einen Ersatz, irgendwo muß der Verkehr abfließen. Die Wilhelmstraße führt an der Charite vorbei, die Friedrichstraße sollte meiner Meinung nach in Teilen eine Fußgängerzone werden. Sie können den Verkehr ja auch nicht ganz über den Stadtring führen. Oder soll der auch in Ost-Berlin fortgeführt werden?
Sie hatten sich für den Weiterbau der Stadtautobahn nach Neukölln und Treptow ausgesprochen...
Ich habe nicht gesagt, daß ich eine Autobahn haben will. Aber ich denke an den Wirtschaftsverkehr, an die Verkehrsprobleme, die hier jetzt erst recht entstehen, wenn die Industriezentren im Südosten West-Berlins und in Ost -Berlin zusammenwachsen.
Wenn sie eine neue Straße bauen, wird sie auch den PKW -Fahrern zugute kommen, und damit schaffen sie eine Konkurrenz für die S-Bahn, die Sie in Neukölln gerade ausbauen.
Die Reduzierung des PKW-Verkehrs kommt nicht alleine dadurch zustande, daß man keine Straßen mehr anbietet. Man kann auch die übrigen attraktiven Angebote, wie Parkhäuser, wegnehmen. Wer hat denn die vom alten Senat geplanten Parkhäuser gestrichen? Nicht der Verkehrssenator, nicht Frau Schreyer - Nagel hat zwölf Parkhäuser gestrichen. Das wird dann aber von der Frage überlagert, ob in Neukölln eine Stadtstraße gebaut wird. Dabei ist das alles nur im Stadium der Überlegung: Man muß sich das mal angucken und überlegen, ob es notwendig ist oder ob es nicht notwendig ist. Im übrigen helfen solche Diskussionen, ein sehr breites politisches Spektrum einzufangen. Das hat Rot-Grün bitter nötig. Denn die Zustimmung zu Rot-Grün sinkt zur Zeit.
Tatsächlich?
Ja, natürlich. Wenn man eine Politik macht, die in den einzelnen Elementen von der Mehrheit bejaht wird, dann ist es immer noch eine Frage der Umsetzung dieser Politik. Es geht darum, was man den Bürgern an Lernfähigkeit zumutet. Ich rede da vielleicht ein bißchen als Wahlkampfleiter. Wenn man beispielsweise Tempo 30 einführt, dann fängt man am besten in ein paar Gebieten an, wo die Leute das wollen. Dann kann man den anderen sagen: Guckt euch das an, wie das funktioniert. Und dann sollte man nicht eine Woche später die Havelchaussee zumachen. Ich halte es für falsch, daß sich der Senat als ein Senat der Einschränkungen und Verbote und Beschränkungen hinstellt. Wenn ich für die Verkehrsplanung zuständig wäre, würde ich Tempo 30 ganz behutsam einführen, eine Zone nach der anderen.
Haben Sie das dem Verkehrssenator gesagt?
Das habe ich ihm geraten, nachdem jetzt einige Dinge schiefgegangen sind. Der fühlt sich natürlich auch gehetzt von den Leuten, die sagen: Zackzackzack, alles auf einmal.
Und überläßt der Verkehrssenator Ihnen jetzt das Referat für die Planung von S-Bahn, U-Bahn und Eisenbahn?
Dazu will ich jetzt nichts sagen. Ich glaube aber, daß die Bündelung verschiedener Aufgaben dazu führen würde, daß wir bei der S-Bahn-Instandsetzung schneller bauen könnten. Und ich will ja keine ganzen Referate haben. Es geht nur um die Arbeitsgruppe, die die Bahnhöfe plant. Das sind sieben Leute. Ich will nicht die Verkehrsplanung haben, sondern nur diejenigen, die entscheiden, wie die Bahnhöfe aussehen sollen und wo Aufstellgleise verlegt werden müssen.
Interview: Hans-Martin Tillack
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