Eros Ramazzotti

■ Ein Turm Italo-Klons von »Eleanor Rigby«

Die Nachrichtenredaktion von Radio 100 war gerade aus dem Funkhaus an der Potsdamer Straße gejagt worden, als eine kleine Sequenzermelodie durch den Äther klang. Der Universitätsstreik hatte mein mäßig vorbereitetes Referat zum Thema »Politische Kultur in der Ära Ulbricht« hinweggefegt, da erhob Eros Ramozzotti seine Stimme: »Die neuen Helden sind die Jungs, die sich dem harten Leben stellen / neue Helden deshalb, weil nichts einfach ist im täglichen Kampf gegen die Angst.« Ade Berlin. Mit zwei Überseekisten und mir ruckelte der Nachtzug Richtung Süden, während Mikel Moon auf Radio 100 »Musica è« Zeile für Zeile übersetzte, während die Musik Ramozzottis orchestrale Warteschleifen auf wertvollem Sendeplatz zog.

Rom, und von Ramazzotti keine Spur. Dafür hielten sich meine römischen Gastgeber die Ohren zu, wenn ich die auf dem Flohmarkt erstandene Raubkopie der LP »Nuovi eroi« auflegte. Mit der Cassette, die sich am Ende der A-Seite jedesmal mit üblen Bandrauschen verabschiedete, lag ich quer zum Geschmack der italienischen Bekannten, für die Eros wie Maffay, Robert Smith aber erotisch ist. Bei »Vamos a la playa« — das zwar nicht italienisch gesungen, wohl aber von den Florentiner Brüdern La Bionda komponiert wurde — trat das ausgeprägte römische Harmoniebedürfnis deutlich zutage: »Das ist Scheißmusik.«

Auch Eros Ramazzotti liebt das Schöne, und nichts Böses geht über seine roten Schmollippen. Die leise Unzufriedenheit der gente di mare mit der immergleichen Ödnis einer typisch italienischen abendlichen Sause kontert der cantante mit dem stolzen Trotz der Nichtshaber: »Wenn der Himmel sich verdunkelt / und die Nacht hinuntersinkt / dann trifft man sich / unter den Torbögen in der Stadt / und am Eingang der Metro«, um sich in Windeseile zu fragen: »Was macht man nur, wo geht man hin heute abend / bevor die große Langeweile kommt?« Denn die stellt sich spätestens bei der Autofahrt zu einem der wenigen Nachtcafés der ewigen Stadt am Arsch der Welt ein. Natürlich hatte die Klitsche ausgerechnet heute zu, und mit Gleichmut fuhren wir nach Hause.

Daß soviel Duldsamkeit melancholisch macht, ist auch an Ramazzotti nicht vorübergegangen. Der bösen Welt — der lang beantragte Telefonanschluß kommt und kommt nicht; die Freundin meiner Freundin trifft sich heimlich mit dem Freund meines ehemaligen besten Freunds, mit dem ich mich vor zwei Jahren überworfen habe; KPI- Chef Occhietto hat sich das Bein gebrochen — weiß der Sänger nur sein butterweiches Herz entgegenzusetzen. Das kieksende Sprachrohr jugendlicher Vespafahrer ist zum Anwalt all derer geworden, »die ins Schleudern gekommen sind / die noch niemals etwas besessen haben / und immer schon am Rand lebten.«

Ballade auf Ballade türmt Ramazzotti rührselige Geschichten, die wie Italo-Klons von »Eleanor Rigby« klingen. Die kraftvollen Sequenzen sind leiser geworden, das Kieksen ist verschwunden. Stattdessen dominieren E-Gitarren, Strings und Chöre, um die Weinerlichkeit des cantante zu überdecken. Besonders stark rückfettend ist das Gesangsduett mit einer Italienerin, deren Sirenengesang amerikanischen Vorbildern kaum nachsteht. Da helfen auch Pino Palladino an der Bass-Gitarre und Samplings nichts mehr: Eros, das ist Scheißmusik — wie geschaffen für Radio 4 U, wo Mikel Moon inzwischen arbeitet. Stefan Gerhard

Um 20 Uhr in der Deutschlandhalle