: Große schillernde Bitblase
■ betr.: "The Electric Kool Aid Cyber Test", taz vom 30.10.90, "Digital Magic", taz vom 3.11.90
betr.: „The Electric Kool Aid Cyber Test“, taz vom 30.10.90, „Digital Magic“, taz vom 3.11.90
Der Autor läßt seiner Begeisterung freien Lauf. Das hält ihn natürlich völlig davon ab, das ganze mal kritisch zu hinterfragen, von dem kurzen Hinweis auf den Media-Hype mal abgesehen.
Mal wieder muß die Geschichte von Jobs und Wozniak dazu herhalten, den amerikanischen Tellerwäschertraum zu illustrieren; es gibt ja nicht viele Wiederholungen. In der realworld basteln die Chipfirmen mit großen Kapitaleinsatz an ihren Steinen zur Bildmanipulation, in Echtzeit schaffen einige wenige Programmierer die virtuellen Realitäten. Die Frage, wer da am schnellsten Zugriff hat, erübrigt sich wohl. Und wer dann suggeriert, daß „leicht frisierte Apple-PCs“ das ganze für jeden erschwinglich machen, kann sicher auch einen C64 in ein Superhirn verzaubern.
Daß dann noch die gewesene DDR als Beispiel für „Virtualität des Alltags“ herhalten muß, macht den ganzen Artikel vollends zu einer großen schillernden Bitblase. Wenn die dann zerplatzt ist, werden die Reste von Cyberspace sich da wiederfinden, wo sie hingehören, nämlich im Spielzeugregal.
Also nehmt Eurem Autor doch mal die Datenhandschuhe und den -anzug weg und verschafft ihm einen Ausflug in die Abgründe der Real- Welt. Dietrich Wolf, Berlin
[...] Wieso kündigt denn erst die Virtual Reality (VR) „die breiteste aller menschlichen Übereinkünfte, den Konsens über die Objektivität der Wirlichkeit“ an? „Die Bewußtheit über sich selbst als Mitschöpfer jeder Art von Realität“ war bisher ganz sicher nicht nur „Yogis, Zen-Meistern und kriminellen Konsumenten psychedelischer Pflanzen vorbehalten“, sondern ist seit 2.500 Jahren Bestandteil westlicher Philosophie. Heute liefert die Neuro-Biologie naturwissenschaftliche Belege dafür und die Denkweise des Konstruktivismus entwickelt darauf Ansätze einer neuen Erkenntnistheorie.
Was soll denn hinter den eingestürzten „Mauern der Wahrnehmung“ zu finden sein? Etwa doch wieder eine „objektive Wirklichkeit“? Oder wenigstens eine bessere, vielleicht die von ARD und ZDF? Wahrnehmung ist Denken, Reaktion des individuellen Gehirns auf von außen kommende sensorische Reize, ist nicht Abbildung einer objektiven Realität. Realitäten werden durch Denken konstruiert, und es ist sicher auch denkbar (und nicht unbedingt beängstigend), daß Realitäten möglich sind, bei denen nur noch von außen feststellbar ist, ob sie auf „natürlichen“ oder „künstlichen“ Ursachen gründen.
Aber wo ist denn da die Mauer eingestürzt? Ein Schritt weiter wäre die Umgehung des sensorischen Apparates, das heißt die Erzeugung von Wahrnehmung durch unmittelbare Beeinflussung der entsprechenden Hirnbereiche auf chemischem (durch „kriminellen Konsum psychedelischer Pflanzen“) oder elektrischem Wege. Aber das ist mit VR offenbar nicht gemeint, denn dabei handelt es sich kaum um eine Frage von HW-/SW-Kapazitäten, sondern um eine der Hirnforschung. Menschliche Kommunikation setzt gemeinsame Realitätsbereiche der Individuen voraus. Und Subversion im Sinne des Infragestellens von Machtstrukturen setzt (für mich) Kommunikation zwischen möglichst vielen Individuen voraus. Die präsentierte Vision von VR sieht aber eher die Produktion vieler verschiedener „Wirklichkeiten“ vor, und damit wird Subversion zum bloßen Abtauchen. So ähnlich stelle ich mir Peter Weibels „Psychotisierung der Wahrnehmung“ vor, die er offenbar auch als Subversion versteht.
Rührend naiv in diesem Szenario wirkt der Versuch, das kritisch- emanzipatorische Potential von VR durch seine Herkunft zu belegen: „(...) die Technik des Cyberspace kommt nicht von IBM oder von anderen Pentagon-Lieferanten, sie kommt von unten, aus der Szene der Computer-Hacker und -freaks. (...) nur handelsübliche, leicht-frisierte Apple-PCs“ werden benutzt. Da sind wir aber beruhigt. Nicht auszudenken was passieren könnte, wenn da die Nasa...
Mir scheint, Herr Bröckers ist bei seinem Trip nach San Francisco ein wenig zu tief in die virtuelle Realität der VR-Szene abgetaucht. Rausgekommen dabei ist eine bunte Mischung von Phrasen, Wissenschafts- Versatzstücken, High-Tech-Ideologie und postmodernen Mythen. Jonas, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen