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Kleist, der Klops in der Berliner Soße

■ Die erste historisch-kritische Kleist-Ausgabe zieht sich aus Berlin zurück

Der philologische Fake des Jahrhunderts, auf dem zweiten Platze nach gewissen Tagebüchern, könnte die erste kritisch-historische Kleist-Ausgabe sein: In den letzten Jahrzehnten immer wieder angekündigt, hat sie bereits Millionen an Forschungsgeldern verbraucht — aber kein einziger Band ist bisher erschienen. Da machten sich vor zwei Jahren zwei junge Heidelberger Germanisten an die Arbeit und veröffentlichten bis heute bereits drei Bände im Frankfurter Stroemfeld/Roter Stern Verlag (taz vom 18.August 1989) — ohne die ansonsten übliche finanzielle Unterstützung von staatlicher oder universitärer Seite. Roland Reuß und Peter Staengle, die die Kleist-Stadt Berlin als Sitz ihrer Ausgabe wählten, wird inzwischen von allen Seiten die wissenschaftliche Qualität ihrer Arbeit bescheinigt, das deutsche Feuilleton schwärmt einhellig, nur Berlin zieht nicht mit: Die beiden Herausgeber fragten beim Senat wegen finanzieller Unterstützung an, aber ihre Anträge versandeten im Verwaltungsdschungel. Jetzt haben sie die Konsequenzen gezogen und wählen einen anderen Sitz für ihre Ausgabe. Jürgen Berger sprach mit Roland Reuß.

taz: Ist Berlin als Erscheinungsort eurer Kleist-Ausgabe endgültig gestorben?

Roland Reuß: Die Situation war am Ende so verfahren, daß es keine Möglichkeit mehr gab, vernünftig aus dieser Berliner Soße herauszukommen. Man muß sich vorstellen, daß wir in den letzten Monaten permanent in einem strukturellen double bind lebten.

Das hört sich an, als sei es nicht um eine Kleist-Ausgabe, sondern um Familientherapie gegangen.

Uns wurde auf der einen Seite gesagt, unsere Ausgabe sei auf jeden Fall förderungswürdig, während man andererseits keinen politischen Entschluß fällte, sie auch tatsächlich zu fördern. Das hatte aber zur Folge, daß andere Stellen, die wir um Geld baten, immer fragten: Ja, wie sieht es denn mit Berlin aus? So hat das Verhalten der politisch Verantwortlichen in Berlin das Weiterkommen unserer Ausgabe generell blockiert. Lediglich die Böll-Stiftung sprang unkonventionell und schnell ein, ansonsten hätten wir im letzten halben Jahr nicht weiterarbeiten können.

Wie verhielt man sich im Berliner Senat?

Die Senatsverwaltung sagte uns, welche Wege wir zu gehen hätten, damit wir das Projekt fortführen können: Es sei nicht günstig normale Haushaltsgelder zu fordern, ein Antrag bei der Lotto-Stiftung Berlin sei sinnvoller. Offiziell läuft das dann so, daß die FU einen Antrag stellen muß.

Wer empfahl diesen Weg?

Sowohl Wissenschaftsenatorin Barbara Riedmüller als auch Kultursenatorin Anke Martiny haben das in ihren Stellungnahmen befürwortet. Gekostet hat sie das nichts, es hätte ihnen nur Energie abverlangt, das in der entsprechenden Sitzung der Lotto-Stiftung durchzuboxen. Das ist nicht geschehen, statt dessen hat sich offenbar die SPD-Sportsvereinslobby durchgesetzt und das Geld an sich gezogen. Jetzt kann sich Berlin in Ruhe auf die Olympiade vorbereiten, uns wurde lediglich mitgeteilt, Verlagsprojekte könnten nicht unterstützt werden.

Ging es um einen Druckkostenzuschuß?

Nein, es ging um Forschungsstellen für Peter Staengle und mich. Die Begründung ist auch deshalb absolut unsinnig, weil die Tatsache, daß geisteswissenschaftliche Forschungsprojekte in einem Verlag publiziert werden, niemals ein Hinderungsgrund sein kann. Würde das gelten, gäbe es gar keine historisch-kritischen Ausgaben, denn fast alle werden von dritter Seite gefördert. Geradezu lächerlich ist, daß Barbara Riedmüller sich dann plötzlich auch dieses Argument zu eigen machte. Ausschlaggebend für unsere Entscheidung ist aber, daß sie nicht die Verantwortung für das Scheitern des Projektes zu übernimmt. Statt dessen hat sie plötzlich so getan, als sei die FU dafür verantwortlich und machte auf einer Sitzung des Kuratoriums der FU den Vorschlag, über unsere Ausgabe zu sprechen. Das zeugt vom Fehlen jeglicher Kompetenz, denn bei der FU wurde ja gar nie ein Antrag gestellt, und es ging dann auch wie das Hornberger Schießen aus. Auch die FU fand unsere Kleist-Ausgabe schön und wichtig, fühlte sich aber nicht zuständig.

Vielleicht findet man in Berlin die Kleist-Ausgabe doch nicht so wichtig, wie man offiziell betont.

Umso schlimmer. Man hat wirklich den Eindruck, daß die Zuständigen gar nicht wissen, um was es eigentlich geht. In Berlin gibt es vielleicht vier bis fünf Projekte, die förderungswürdig sind. Eines davon ist außer Frage die historisch-kritische Kleist Ausgabe. Gerade für die Stadt Berlin, die sich in Bezug auf die Person Kleists nicht mit Ruhm bekleckerte, ist das eine blamable Sache, und wir haben keine Lust, uns weiter an dieser Blamage zu beteiligen. Die erste Konsequenz wird sein, daß ab dem nächsten Band ein anderer Name für die Ausgabe gelten wird. Ob die Verantwortlichen in Berlin sich vorstellen können, was es bedeutet, wenn in fünfzig Jahren jemand die Ausgabe zur Hand nimmt und feststellt, daß sie ab dem vierten Band plötzlich der Name ändert, das wage ich zu bezweifeln. Wenn Politiker nicht begreifen, welches Signal sie setzten, indem sie so etwas nicht fördern — zumal wenn sie vorgeben, aus einem linksliberalen Milieu zu kommen — sind sie fehl am Platz.

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