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Geschichtsstoff FELIX POLLAK

Zum Gedenken an Lotte, Ernst und Fritz Strass

Es ist alles vorbei und vergangen, die Schreie zum Schweigen gebracht, das Blut

erstarrt in der Erde. Die Schreie in Luft aufgelöst, das Blut

vom Gras aufgesogen, verwandelt in den Saft junger Bäume.

Die Folterer wieder, was sie früher gewesen waren - Hotelchefs,

Angestellte, Ingenieure, die Familien und Haustiere großziehn, Freistilringen

auf Fernsehschirmen schaun, mit nur noch einer schwachen

Erinnerung an einer vagen Sehnsucht nach Kraft durch Freude - wo sind die Zeiten! Die

Folterinstrumente zu Museumsstücken gereift,

Exponate A, B, C, neben dem Nickelodeon und der Ausrüstung,

die zur peinlichen Befragung von Hexen benutzt wurde. Dachau, Buchenwald, Auschwitz,

Theresienstadt-Ortsnamen wieder, Städte, Zughaltestellen.

Hotels, um zwischen Zügen die Nacht zu verbringen. Zum Schweigen gebracht die Schreie,

erstarrt das Blut, die Asche von Winden zerstreut. Die Massengräber

überwachsen, die Akten geschlossen, die Entschädigungen bezahlt. Nur

die Knochen immer noch wirklich in den Gräbern, allein die auf

Vorderarme tätowierten Nummern, die in San Francisco, Brüssel, Shanghai überleben, einzig

die Erinnerungen an Exkremente und Schweiß, an Peitschen und Kreuzigungen und

das Heulen von Terror und Tod, an Schläuche, an platzende Gedärme, an

Schornsteinfeuer und den Geruch nach brennendem Fleisch und Haar, an Hundegebell,

die Schüsse von Stimmen und knackenden Knochen und jähem Schweigen

immer noch wirklich begraben in Schädeln über den Erdball zerstreut, nur die Narben

auf verschleppten Seelen, die stumm in private Nächte hineinbluten auf der ganzen

Erde, graue Schlieren über den Augen bei Tag ... schwach, schwächer werdend

und rar, Fledermäuse, die durch Tagträume flattern auf ihrem Weg in

die Schrunden grauen Vergessens. Verstreut von Winden über Meere die Asche

von Auschwitz, von Bäumen hängende Zapfen aus Eis die Todesschreie von Belsen,

schmelzend in neues Jetzt. Gesunken unter die Blumen die Leichen

festgefroren im Boden barfuß beim Stillgestanden, ihr letztes Stöhnen

an Touristen gerichtet, jetzt Ansichten nebenbei für Reisende, die

die schöne Kunst des Schauderns zu lernen gedenken. Bitte nicht rauchen, aus

Achtung vor den Märtyrern-ein geringes doch symbolisches Opfer. Den Rasen

nicht betreten, man könnte auf Gräbern spazieren. Das Berühren der

Folterinstrumente streng verboten, die Schilder beachten, Damen

und Herren, und enthalten Sie sich freundlichst lauten Gelächters, da es die

Würde des Ortes verletzen möchte. Hier entlang zu den Gaskammern,

bitte schön.-Alles vorbei und vergangen. Die Gemordeten tot, das

Blut der roten Schlagzeilen erstarrt in Archiven, die Autoren,

die Mörder, vergessen-haben und sind. Wie gehts?-Man lebt.

Und ein Kind, schon, das aus der Schule nach Haus kommt und fragt,

Daddy, wer war Hitler?

Aus dem Amerikanischen von Klaus Reichert. Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: Felix Pollak, Vom Nutzen des Zweifels. Gedichte Amerikanisch-Deutsch, Fischer Taschenbuch Verlag, 219 Seiten, DM 10,80

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