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Mit dem Esel das Universum begreifen

■ Im Wildpark Lauenbrück röhrt der Hirsch zum Alsterwasser

hier Esel

Im Auge des Grautiers: die Quintessenz der Weltgeschichte

Lauschen wir zunächst der Werbe-Lyrik des Wildparks Lauenbrück, mit der sich die weiträumige Freizeitanlage der Familie von Schiller(!) dem ff Publikum empfiehlt: „Jede Jahreszeit bietet ihre eigenen Reize, den Besuch zu einem Naturerlebnis werden zu lassen: Im Frühjahr ..., wenn erste warme Sonnenstrahlen die Natur aus ihrem Winterschlaf erwecken. Im Sommer ..., wenn die Hirsche unter prächtiger Laubfärbung ihre röhrenden Brunftschreie durch die rauhe Witterung orgeln. Im Winter ..., wenn sich die großen Wildrudel um die Futterstellen versammeln.“

der hirsch

Weißer Hirsch,

erschöpft vom Röhren

All' das spielt sich ab auf rund 50 Hektar Wald- und Wiesengelände am Rande der Lüneburger Heide und kann auf einem zweistündigen Rundweg gemächlich erwandert werden. Dam- und Rotwild zum Greifen nah, das grunzende Wildschwein, der mächtige Auerochs und das Tarpanwildpferd tauchen in ihrer natürlichen Umwelt vor uns auf und erheben Wegzoll. Das begehrte Trockenfutter nehmen sie schon am Rascheln in der Pappschachtel wahr.

Zwischendurch ein Ameisenhaufen, ein Froschtümpel oder ein Karpfenteich, dessen trägleibige Bewohner ein Leben ohne Hecht genießen. Gelegentlich spreizen Pfauen ihr Gefieder mitten auf dem Weg, eine versprengte Zwergziegenherde drängelt sich zwischen den menschlichen Besuchern hindurch, und Oberstudienrat Waldemar Fritz aus Rotenburg verwechselt gerade einigermaßen laut das gelockte Wollschwein mit einem Schaf.

Nach der Begegnung mit Bruder und Schwester Tier in ihren vielfältigen Ausdrucksformen hat die Jägerschaft noch einen Informationspavillon gesetzt, der die bekannten Grünrock-Argumente vom altruistischen Heger in Bild, Schrift und Trophäe sowie ausgestopften Waldwesen erläutert: Vermutlich braucht–s derlei Zinnober für das Prädikat „klassenfahrtgeeignet“.

Wenn Wandern und Schauen hungrig oder gar durstig gemacht hat, findet sich in der rustikalen Park-Restauration ein recht annehmbares Angebot zu vergleichsweise zivilen Preisen: Mitgebrachte Butterbrote werde allerdings mit einer Verzehrsteuer belegt, was nun wiederum das Auftreten holländischer Tagestouristen in engen Grenzen hält.

Während Vater/Mutter/ Omama bei Schwarzwälder Kirsch, Wildparkpalette und/ oder Alsterwasser darüber nachdenken, ob sie noch einen Abstecher zum Puppenmuseum dranhängen sollen, stürmen die Kids den Spielplatz, der auf HighTech- Attraktionen verzichtet und mit Schaukel, Wippe, Kreisel und Mini-Scooter immer noch vorhandene Aktiv-Reserven auffängt.

Soweit, so gut und als Ausflugsziel recht tauglich. Was aber die einzigartige Besonderheit dieses Wildparks ausmacht, hat die Dramaturgie dieses Beitrags bislang ausgespart: Im Eingangsbereich der Anlage stehen viele Esel bereit, mit den Kurzen ein paar Runden auf dem Reitplatz zu drehen oder auch den Besucher durch den Park zu begleiten. Wer einmal in die seelenvollen Augen eines solchen Grautiers blickte,ist ein für allemal davor gefeit, sein Herz an Kurzhaardackel, Kakadus oder Fußball-Profis zu hän

das Wollschwein

Kein Schaf, Herr Studienrat! Ein Wollschwein!

gen und wird sich nie mit der Beschränktheit von Second-Hand- Gurus zufrieden geben.

Das Auge des Esels ist die Quintessenz der Weltgeschichte, die immer auch eine Beziehung zwischen Mensch und Grautier war. Ritt nicht unser Herr und Heiland auf dem Esel gen Jerusalem? Und badete nicht Kleopatra ihren zarten Body in der Milch des Esels, bevor sie Caesar empfing? Weise Männer wie Diogenes und Laotse wählten ihn zum Begleiter und Gefährten, überließen sich rittlings im ruhigen Trott ihren Gedanken, und selbst Heinrich Heine, Karl Marx und Fürst Kropotkin ergaben sich dem Zen der Liebe zum Esel.

Karpfen genießen ein Leben ohne Hecht, Jäger sind Heger, kein Gedanke mehr an Kurzhaardackel

Der Ritt mit dem Lastenträger der Menschheit durch den Wildpark ist für Kinder schieres Vergnügen und aufregendes Abenteuer, bei dem selbst der Sturz auf den weichen Waldboden zum Erlebnis wird. Dem „Erwachsenen“ aber, der sich, speziell an schwach besuchten Wochentagen, einen Esel zum Lustwandeln durch die Waldlandschaft ausbedingt, wird die intenive Erfahrung wahrer Meditation zuteil: Nicht der Mensch bestimmt den Rythmus des Geschehens, sondern der Esel in seiner lebendigen Verbindung zum Wesen der Dinge in der Langsamkeit. Wage dieses zu erleben, liebe LeserIn, in der Stunde der Trauer oder des Schmerzes — gönne es Dir in Zeiten des Hochgefühls. Und danke dem grauen Meister für seine Lehren, indem Du ihn zu Fuß begleitest und nicht als Träger Deiner Last mißbrauchst...

Der Wildpark des Herrn Friedrich-Michael von Schiller liegt unweit der B75 zwischen Scheeßel und Tostedt, ist aber auch für Bahnfahrer bestens erreichbar:

Der mächtige Auerochs zum Greifen nah: Wegzoll bereithalten!

Nahezu stündlich verkehren Züge zwischen Bremen und Lauenbrück, und von der Bahnstation aus ist der Park in einer knappen halben Spazierstunde erreichbar. Große Leute zahlen 7 DM Eintritt, Kinder von 4-14 sind mit 5 Mark dabei. Der kurze Ritt ist mit 2 Mark zu löhnen, für die Wanderbegleitung durch den Esel sind 9 Mark Stundensatz zu entrichten. Da sollte sich Ihr Therapeut mal ein Beispiel nehmen! UrDrü

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