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Im Kachelzimmer angeschnauzt

■ „Aufbruch in die Fremde“: Bremer Auswander-Ausstellung im Rathaus eröffnet

2 alte Frauen

mit Blumen

Die 15.000. Auswanderin nach 1945 geht mit ihrer Tochter an Bord des Schiffes Beaverbrae nach Kanada Foto: Staatsarchiv Bremen

Es ist kein Illusionskino, es ist kein Disney-Land, es ist kein historisches Museum, es ist keine didaktische Veranstaltung des guten Willens, und man kann es sogar goutieren, ohne pausenlos über die Sponsorenliste von Kellog's bis MBB zu stolpern: Das große bremische Ausstellungsprojekt „Aufbruch in die Fremde — Europäische Auswanderung in die USA über Bremen und Bremerhaven“, am Freitag in der Unteren Rathaushalle feierlich der

Öffentlichkeit vorgestellt, stellt einen neuen Ausstellungstypus dar. Einen modernen: multimedial, dramatisiert, um Erlebnis bemüht, auf dem neusten Stand museumsdidaktischer Infiltration — die AusstellungsbesucherInnen treiben monadengleich durch die 15 „Erlebnisräume“ der Rathaushalle, ferngesteuert durch infrarote Strahlen. Via schnurlose Kopfhörer empfängt man Botschaften und Musiken.

Der Gedanke ist: Wir wandern aus. Mit Johann vom Vogelsberg 1854 und mit Jadwiga aus Galizien 1907. Die Jahreszahlen markieren Spitzenjahre der europäischen Auswanderung. Wir sehen uns in Johanns Webkämmerchen um, stolpern über ärmliches Plaste-Pflaster in Jadwigas Dorf, wir werden einer ärztlichen Untersuchung in einem Kachelzimmer unterzogen und angeschnauzt, drücken uns am Zwischendeck eines Seglers / eines Dampfers herum. Wir werden durch vergitterte Gänge gescheucht und entgehen soeben dem „X“ auf dem Mantel: „geisteskrank — du mußt zurück“. Wenn wir die Freiheits- Statue aus Gips passiert haben, sind wir angekommen: im Land unserer Träume, auf dem Acker bei Wisconsin, in den Schlachthöfen Chicagos. Jadwigas Schlußwort zu Posaunen- und Geigenklang: „Es wird den Kindern besser gehen!“

Glasbruch in den Butzenfenstern, abgewetzte Handwebjoppen, alte Köfferchen und ein klappriger Handwagen, hier ein echtes Stückchen Schiff, da gramgebeugte, mittels Dreitagebart auf realistisch getrimmte Auswanderermänner: die Details des dreidimensionalen Teils der Ausstellung sind liebevoll und kundig ausgesucht — die Macher Uwe Thill, Bühnenbildner, und Axel Kolaschnik, „Mediendesigner“, arbeiteten mit Historikern an der Uni zusammen (Diethelm Knauf und das „Labor-Migration Projekt“). Die Figurengruppen mit Gepäck treten aus einer zweidimensionalen Fototapete hervor, die mit zeitgenössischen Genrestichen und gigantisch vergrößerten alten Fotos bedruckt ist. In den „Erlebnisräumen“ hört man im Kopf jeweils die Personen, die im Videogerät ihren Mund auf- und zumachen: Johann, Jadwiga (die TV-notorischen Schauspieler Michael Kausch und Anna Nowak) und den „Zeit-Geist“, der uns die Jahrhundert-Sprünge erleichtert.

Die schreckliche lähmende Ausstellungsmüdigkeit bleibt aus: Die Wege sind kurz, an eine Ruhezone mit wehendem „Segel“ wurde gedacht. Und wenn die Musike gar zu theatralisch Oh Susanna dröhnt und uns die Seelenlandschaft der Protagonisten durch einen schwankenden „Psychoraum“ überdeutlich gemacht wird: geschenkt! Denken wir an die Kinder (ab 10)! Nicht zu dulden ist allerdings die Einrichtung des Webstuhls gleich eingangs: der Einzug ist in die Kammlade geklemmt worden! (Name und Adresse einer Weberin sind bei der Redaktion nachzufragen) Bus

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