: Warten auf den ersten Regen
■ Die Verlierer dieses Sommers: Taxifahrer, Kinos, Theater und der Berliner Blutspendendienst
Auf den Feldern verdorrt derzeit nicht nur die Ernte. Die gnadenlose Sonne und die andauernde Hitze bringen so manche einträgliche Geldquelle zum Versiegen. Etwa für die durch das Verkehrschaos sowieso schon leidgeprüften Taxifahrer. »Det Wetter ist beschissen für uns«, faßt Dietmar Dehn vom »Taxi- Funk Berlin« die trostlose Lage zusammen. Bei kürzeren Hitzeperioden in vergangenen Jahren verzeichnete Dehn sogar noch ein Umsatzplus — besonders bei älteren Menschen. Jetzt aber, nach wochenlanger Hitze, blieben auch die lieber ganz zu Hause. Selbst einigen der rund 2.000 Taxi-Teilnehmern, die seinen Vermittlungsdienst in Anspruch nehmen, macht die Hitze zu schaffen: Wer sonst gewohnt ist, 12 Stunden durchzufahren, mache nun schon nach fünf Stunden schlapp. Ohne Klimaanlage steigt in manchen Blechkisten die Temperatur auf ungewohnt tropische Grade: »Am Halteplatz sind schon 50 Grad drinne«, so Dehn.
Wie die Taxifahrer hoffen auch die Kinobesitzer der Stadt auf eine erfrischende Kühlung. Denn nichts treibt die Besucher lieber in geschlossene und dunkle Räume als ein durchregneter Tag und die Aussicht, auf der Leinwand das Surrogat eines schönen Sommers zu sehen. Der »Zoo-Palast« mit seinen neun Kinos verzeichnete in den letzten Wochen zwei Drittel weniger Gäste als sonst. Theaterleiter Wolfgang Niemeck: »Uns haben Filme wie Basic Instinct oder Steven Kings Schlafwandler in diesem Sommer über Wasser gehalten.« Selbst die ansonsten so populären Kinotage können nur wenige aus den Eisdielen und von den Stränden weglocken. Im vergangenen Sommer kamen an solchen Tagen noch 4.000 Besucher, dieses Jahr gerade einmal die Hälfte. Selbst für die anderen Kinos der Zoo-Kette, die in Ku'damm-Nähe liegen, sieht es nicht besser aus: »Das ist diesen Sommer ein bißchen herb, da muß man schon ein gesundes Polster haben«.
Kleinere Kinos wie die »Filmbühne am Steinplatz« können ins gleiche Lied einstimmen. Leiterin Karin Wilke ist das Sommerloch jedoch schon gewöhnt: »Im Vorabendprogramm um 18.30 Uhr wundert man sich wirklich, wenn überhaupt jemand ins Kino geht«. Im Juni hatte das 129 Plätze fassende Kino durchschnittlich 50 Besucher in den Nachtvorstellungen. Selbst der in den Stadtmagazinen sehr positiv besprochene Film »Ein sehr alter Herr mit enormen Flügeln« sei nur »mittelmäßig gelaufen«. Weil Kinoleiterinnen aber auch nur Menschen sind, hat Wilke — was das Wetter angeht — zwei Seelen in ihrer Brust, »ein geschäftliches und ein persönliches Ich«. Während das eine auf weitere Sonnentage hofft, mahnt das andere schon jetzt zur Vorsicht. Wilke: »Sollte der Sommer bis in den September hin andauern, wäre das schon geschäftsschädigend«.
»Tierisch zurückgegangen« sind die Besucherzahlen auch in der »Berliner Kabarett Anstalt« (BKA), wie deren Sprecherin Patricia Braun beklagt. Vor allem im BKA-Zelt an der Philharmonie: »Da hält es doch derzeit keiner aus«. Im Stammhaus am Mehringdamm nölen die Schauspieler nicht nur wegen der stickigen Luft, sondern auch wegen der Scheinwerfer. Aber, so Braun, »Schauspieler lieben ihr Metier so sehr — ein Schluck Mineralwasser nach der Vorstellung und es geht schon wieder«.
Weil — im Gegensatz zu manch anderen Sommern — in diesem Jahr beruhigt darauf vertraut werden kann, daß auch der nächste Tag wieder sonnig sein wird, werden so manche Dinge der Nutzlosigkeit überführt. Im »Kaufhaus des Westens« (KaDeWe) verstauben in diesen Wochen Regenschirme, Strickjacken, Anzüge und Kostüme. Ansonsten jedoch, so KaDeWe-Sprecherin Karin Tauer, sei man mit dem bisherigen Umsatz »generell zufrieden«. Zwar sind die Daten vom Super-Verkaufsjahr nach der Wiedervereinigung noch nicht erreicht. Aber Gartenmöbel, Ventilatoren, Badesachen und leichte Sommerbekleidung brechen schon jetzt alle Rekorde.
Darauf wartet Manfred Rincke, Kohlenhändler am Nikolassee, vergeblich. Im letzten Sommer orderte noch ein Großteil seiner Stammkundschaft die Briketts für den nächsten Winter. Jetzt sei sein Geschäft »so gut wie tot«. Schuld seien die Klimaveränderungen: »Der letzte Winter war sehr lau, und vielleicht denken viele bei dieser Hitze: der nächste wird's auch«. Für Rincke und seinen Mitarbeiter bleibt außer der Reparatur des Fahrzeugparks nicht viel zu tun. Was ihm — abgesehen vom geschäftlichen Minus — gar nicht so ungelegen kommt: »Bei der Hitze schleppt man sich mit ein paar Kilo Kohle auf dem Rücken eh nur so dahin«.
Sorgen ganz anderer Art plagt derzeit die Ärztekammer Berlin. Ausnahmsweise sind es diesmal nicht die gestreßten Berufskollegen, sondern das Wohl der Patienten. Denn im heißen Sommer fließt weniger Blut — in die Blutkonserven. Weil, wie die Ärztekammer bedauert, viele Spender »lieber ins Freibad als zum Blutspenden gehen«. Täglich brauchen Berlins Krankenhäuser jedoch zwischen 800 und 900 Blutkonserven. Und weil rote Blutkörperchen nur eine Lebensdauer von fünf Wochen haben, ist Vorsorge kaum zu treffen. Noch ist der Blutnotstand nicht da. Damit aber Patienten nicht zu Verlierern dieses Sommers werden, sind alle Hartgesottenen aufgerufen, ihr Quantum abzapfen zu lassen. Infos über den Fernsprechansagedienst der Ärztekammer unter 11502. Wenn nötig, auch vor dem Ausflug ans Strandbad. Severin Weiland
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen