: Frauen und Fremdlinge
Zwei Beobachtungen auf dem Münchener Filmfest ■ Von Christiane Peitz
So viele Geschichten gibt es eigentlich gar nicht. Alle schon mal erzählt, jede schon mal gesehen. Die Suche nach dem verlorenen Schatz. Oder die Liebenden, die durch Feuer und Wasser zueinander finden. Der Künstler, dem die Kunst das Leben verstellt. Oder der Mord, hinter dem sich ein viel größeres Verbrechen verbirgt. Oder neuerdings: Freundinnen. Frauen, möglichst verschieden und vollkommen anders als die Männer, sinnlich, stark, besonders. Jede eine Persönlichkeit, und dennoch ein Herz und eine Seele. Beneidenswerte Geschöpfe.
Vielleicht ist es ja eine Reaktion auf den Erfolg von Thelma und Louise: Auf dem diesjährigen Filmfest in München gab es gleich vier Filme über Freundinnen zu sehen, von Mehdi Charef, Pia Frankenberg, Michele Placido und Jon Avnet. Der Star des Festivals: Audrey Hepburn. „Is it tough to be Audrey Hepburn?“, wird sie auf der Pressekonferenz gefragt. Die 63jährige Großmutter lacht und strahlt: „Überhaupt nicht.“ Profi-Optimismus, dem ich nicht glauben mag, aber wer möchte diese liebenswürdige Person schon der Lüge bezichtigen? Audrey Hepburn verkörperte die Schwäche: die Frau als zartes Wesen, mit Eigensinn und Charme, aber unbedingt schutzbedürftig. Ihre Koketterie auf der Pressekonferenz erinnert an das alte Image, aber die Souveränität, mit der sie ihrer Rolle gerecht wird, macht sie gleichzeitig stark. Die Journalisten hat sie im Griff.
Mehdi Charef erzählt von der Begegnung dreier Gefängnisinsassinnen auf ihrem ersten Freigang nach Lyon. Therèse, die Terroristin (sensibel) , Raissa, die Gattenmörderin (verhärmt) und Henriette, die Kindsmörderin (burschikos). Henriette hat mal in einem Kino gearbeitet, nachts projiziert sie im längst verfallenen Filmsaal ein Bild von Anna Magnani auf die Leinwand. „Ich wage mich nicht in ihre Nähe“, sagt sie. Die Leinwandheldinnen von heute sind anders als die Stars von gestern. Mehdi Charef baut Filmzitate ein, von Jean Seberg und Giulietta Masina, um die historische Linie und zugleich den Unterschied zu betonen. In einer Bar greifen Henriette und Therese zum Mikrofon und singen ein Chanson von der Schönheit Ava Gardners. Sie singen schlecht, mit brüchigen Stimmen und ungelenken Gesten, aber die Kamera kreist sie dabei ein, als seien sie einem Hollywood-Musical entsprungen. Die drei stehlen ein Auto, tanzen im Regen, erzählen von ihrem ersten Sex, kaufen sich neue Klamotten, lassen sich treiben. Daß Charefs Au pays des Juliets allen drei je einen pathetischen Auftritt verschafft, in dem sie ihre Tat erläutern und mittels vulgärpsychologischer Erklärungen Schuldnachlaß gewährt wird, hätte der Regisseur sich sparen können. Zu offensichtlich ist sein Interesse an diesem geheimnisvollen Wesen Frau, daß sich so anders bewegt, scheinbar unmotiviert und irgendwie autonom.
Der Verdacht, daß das heutige Kino das alte Frauenklischee durch ein neues ersetzt, damit das Faszinosum Frau erhalten bleibt, wird durch dieses „Irgendwie“ erhärtet. Allzu genau wollen die Filmemacher es lieber nicht wissen. Indizien dafür ließen sich in München mühelos zusammentragen. In Michele Placidos Le Amiche del Cuore geht es um die Freundschaft von Morena, Claudia und Simona. Die Sechzehnjährigen leben im häßlichen Hochhausviertel vor den Toren Roms und sind verschieden wie Charefs Frauen: Krankenschwester, Model, arbeitslos. Auch Placido läßt die drei tanzen, vom ersten Sex erzählen, sich herumtreiben. Die meiste Aufmerksamkeit schenkt er dabei Simonas Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Vater. Das schweigsame Mädchen wird von dem geschiedenen, arbeitslosen Mann sexuell mißbraucht — was Placido bis zum Schluß nur andeutet: ein Tabu. Nicht einmal die Freundinnen wollen es hören. Immer wieder sucht die Kamera das verschlossene Gesicht Simonas ab, immer wieder gleitet sie ab. Differenzierter dagegen das Bild des Vaters: ein einsamer Mensch, der sich schuldig fühlt und dem kein Zuschauer böse sein kann. Kein Zufall, daß Placido selbst die Rolle spielt: Den kann er verstehen. Kaum zu glauben, daß er für den Film angeblich Hunderte italienischer Mädchen interviewt hat.
Die simpelste Botschaft verkauft Jon Avnet in Grüne Tomaten. Eine Frauenfreundschaft in den dreißiger Jahren. Idgie, die hosentragende Draufgängerin, rettet Ruth, die brave Farmerstochter, vor ihrem brutalen Ehemann. Die beiden betreiben ein Café und gehen füreinander durchs Feuer, bis daß der Tod sie scheidet. Merke: Frauensolidarität schützt vor allem Unheil dieser Welt. Erzählt wird das Südstaaten-Melodram als Rückblende. Die Schilderungen der Altersheimbewohnerin (Jessica Tandy) setzen bei ihrer Freundin, einer dicken frustrierten Hausfrau (Kathy Bates, wer sonst) den überfällligen Emanzipationsprozeß in Gang: statt Schokoriegeln und Selbsterfahrungskursen ab sofort Gymnastik, Diät und Aufstand gegen den Ehemann. Dem Melodram korrespondiert die Karikatur. Der Merksatz bleibt der Gleiche.
Pia Frankenberg schickt ihre Hamburger Freundinnen auf Tour nach Berlin. Rita, Lilian und Roberta erkunden den Todesstreifen („Wo stand denn jetzt die Mauer?“), Checkpoint Charlie und das Gestapo-Gelände, stellen unpassende Fragen bei der Umbettung des Alten Fritz, tanzen (!) auf einem Spreedampfer und diskutieren auf dem Damenklo ihre Falten, Unterschenkel und Bäuche. Sie folgen wildfremden Männern, irren durch die Stadt, streiten sich, albern herum, vertragen sich wieder. „Ich kann den Satz vom Geschichtenerzählen nicht mehr hören“, sagt die Regisseurin und bezeichnet Nie wieder schlafen — nie mehr zurück als Zwischendurchfilm. Zwar entspricht dem ziellosen Treiben der drei der schweifende Blick der Kamera, Frankenbergs Liebe zu ihren Antiheldinnen und deren Unberechenbarkeit steht dennoch in seltsamem Widerspruch zur konventionellen Filmsprache: Standardbilder von Berlin nach der Vereinigung, Spreebogen, Mauerreste, S-Bahn-Fahrten und der abblätternde Putz der Häuser auf dem [an alle westlerInnen: es heißt im P... die ost-k'in] ] Prenzlauer Berg. Die Unentschiedenheit kippt um in Gleichgültigkeit, so daß die wenigen schönen, kleinen Szenen wie etwa die auf dem Damenklo dem Stilprinzip zum Opfer fallen: eine Art Touristenblick. Von allem ein bißchen.
„Ich habe mich immer in sie verliebt, deshalb war ich ein hoffnungsloser, hilfloser Regisseur“, gesteht Musical-Altmeister Stanley Donen auf der Pressekonferenz mit Audrey Hepburn. Und Frankenbergs Frauen fragen sich gleich bei der Ankunft in Berlin, „warum Männer immer lächeln, wenn sie Frauen zusammen sehen“. Antwort: „Sie sind gerührt, wie bei Kindern.“ Selbstironisch hat Frankenberg diesen Satz wohl nicht ins Drehbuch geschrieben. Schade jedenfalls, daß die Frauen in all diesen Filmen einander immer so liebhaben. Den Haß unter Frauen, der mörderischer sein kann als alle Übel dieser Welt, sparen sie aus. Er paßt nicht ins Bild vom weiblichen Wesen als immer neue Sensation. Wäre wohl zu normal. Dabei entgeht der Banalität nur, wer sie nicht scheut.
Surviving Columbus
Eine ähnliche Beobachtung des angeblichen Interesses am fremden Anderen, das sich bei genauerem Hinsehen als touristischer Oberflächenblick entpuppt, ließ sich in München bei der Programmreihe über das Leben der Indianer Nordamerikas und Kanadas machen. Zu sehen waren einerseits Videofilme von Indianern verschiedener Stämme, die allerdings abgesehen von einigen experimentellen Arbeiten über Volkshochschulniveau bisher nicht hinauskommen. Zu sehen waren außerdem Mainstream-Produktionen wie Michael Apteds Thunderheart und Incident at Oglala (ausführlich besprochen in der taz vom 23.Mai), Errol Morris' Dark Wind und Richard Bugajskis Clearcut, die in Reaktion auf Kevin Costners Der mit dem Wolf tanzt zwar erstmals von den Native Americans heute erzählen, von denen, die den Genozid überlebt haben und immer noch ihres Landes, ihrer Kultur und ihrer Lebensmöglichkeiten beraubt werden. Aber die Hollywood-Machart stellt das pädagogische Ansinnen in Frage, die Vergessenen der Geschichte endlich einmal in den Mittelpunkt zu stellen.
In Clearcut endet der Kampf zwischen einem Sägewerksbesitzer und den Indianern, deren Wälder gnadenlos abgeholzt werden, in einer Gewaltorgie. Daß sich Hauptdarsteller Graham Greene ausgerechnet beim Schwitzritual einen Finger abhackt (Indianerherz kennt kein Schmerz) und seinen Gegner bei lebendigem Leib häutet, trägt zum Verständnis für indianische Kultur weniger bei, als daß es die klassische Lust an der Brutalität befriedigt.
In Errol Morris' Dark Wind, der reichlich wirren Verfilmung eines Tony-Hillerman-Krimis, muß ein Navajo-Cop einen Mord im Hopi- Reservat aufklären. Es ist der erste Film, der auf Navajo- und Hopi-Gebiet gedreht wurde, erstmals spielen Indianer sich selbst. Die Unterschiede von Navajo- und Hopi-Kultur, die für die Überführung des Mörders eine entscheidende Rolle spielen, werden im Film allerdings bestenfalls angedeutet. Die Dokumentarfilmerin Arlene Bowman, selbst eine Navajo und Nebendarstellerin in Dark Wind, erläuterte im Anschluß an die Filmvorführung außerdem die Schwierigkeiten, indianische Kultur überhaupt zu filmen. Bei den Hopi sei schon das Fotografieren ein Tabu, und es sei so gut wie ausgeschlossen, Stammeszeremonien in Ton und Bild festzuhalten. Daß Morris den Showdown, eine nächtliche Schießerei, an einem für die Indianer heiligen Ort drehte und überdies mit einer rituellen Tanzszene kombinierte, stieß denn auch auf Protest. Die Szene wurde trotzdem nicht geändert.
Die „echten“ Indianer verkaufen sich anscheinend gut zur Zeit, deshalb geht Amerikas Filmindustrie neuerdings ins Reservat. Unangenehm ist daran die Verschleierung des Busineß als sozialpolitisches Engagement. So bleibt das Fremde jener Kulturen einmal mehr auf den folkloristischen Aspekt beschränkt. Auch eine Form der Ignoranz.
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