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Ein gewisser Mangel an Bergen

■ Heute beginnt im spanischen San Sebastian die 79. Tour de France — relativ leicht, aber dafür höchst international/ Mit 197 Fahrern durch sieben Länder

Berlin (taz) — Im letzten Jahr reisten tausende von Spaniern nach Paris, um ihren Landsmann Miguel Induráin im Ziel der Tour de France als Sieger zu feiern. Wenn heute die 79. Frankreich-Rundfahrt gestartet wird, haben sie es nicht ganz so weit. Der Prolog, ein Einzelzeitfahren über acht Kilometer, findet in San Sebastian statt, am Sonntag geht es dann über einige mäßig steile Pyrenäenhügel nach Pau. Die gefürchteten Etappen über Tourmalet und L'Aubisque entfallen in diesem Jahr, sehr zum Unwillen des US-Amerikaners Greg LeMond, der seine Gegner gern auf mehrtägigen Gebirgsabschnitten zermürbt, sofern er die Form dazu hat.

Die Tour de France ist diesmal zur Feier der europäischen Einigung mehr eine Tour d'Europe, auf der 3.984,5 Kilometer langen Strecke werden insgesamt sieben Länder berührt: Spanien, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Italien und, man glaubt es kaum, Frankreich. Deutschen Boden beradeln die Fahrer am 12.Juli auf der achten Etappe, wenn es vom niederländischen Valkenburg nach Koblenz geht.

Insgesamt eine Streckenführung, die nicht nur Miguel Induráin ziemlich albern findet. Der Belgier Dirk de Wolf fürchtet gar, daß die europäische Dimension dieser Tour sie noch hektischer als sonst macht. Ohnehin ist die Zeit der geruhsamen Flachetappen seit einigen Jahren vorbei, immer wieder drücken Fahrer, die sich profilieren wollen, auf das Tempo und versuchen, die Favoriten zu überraschen. Dazu kommt diesmal, so de Wolf, daß „die Fahrer jedes Landes kämpfen werden, um zu Hause zu gewinnen“.

In erster Linie ist die diesjährige Tour de France jedoch ein gefundenes Fressen für die großen Zeitfahrer. Auf den 21 Etappen herrscht ein gewisser Mangel an Bergen — es gibt nur zwei extrem schwere Alpenabschnitte — aber bei den Zeitfahren der 4., 9. und 19. Etappe haben die 197 Fahrer aus 22 Teams insgesamt 136 Kilometer gegen die Uhr zu fahren. Die Favoriten heißen unter diesen Umständen Gianni Bugno, Erik Breukink und natürlich Miguel Induráin.

Der 27jährige Baske stellte seine glänzende Form zuletzt beim Giro d'Italia unter Beweis, den er sehr souverän und als erster Spanier überhaupt gewann. „Wenn er uns in den Zeitfahren so davonfährt wie der Konkurrenz beim Giro und man ihn in den Bergen nicht abhängen kann. Was will man da noch machen“, fragt LeMond, hofft aber darauf, daß diesmal Induráin derjenige ist, der von allen gejagt wird. Eine Rolle, die im letzten Jahr dem Amerikaner selbst zugefallen war.

Das war damals Gianni Bugnos Verhängnis gewesen. Als sich Induráin und Chiappucci auf der entscheidenden Pyrenäenetappe nach Val Louron absetzten, versäumte es Bugno, ihnen zu folgen, weil er LeMond nicht an die Spitze heranführen wollte, geriet entscheidend in Rückstand und wurde am Ende nur Zweiter. Bugno hat sich diesmal ausschließlich auf die Tour konzentriert, kann vermutlich auf die Unterstützung seines Teamkollegen Laurent Fignon zählen, wird Induráin kaum aus den Augen lassen und auf jede Chance, in den Bergen und beim Zeitfahren, lauern.

Eine unbekannte Größe ist der Niederländer Breukink, ein bärenstarker Zeitfahrer, der aber bei jeder Tour bislang seinen schwachen Moment hatte, besonders ausgiebig im letzten Jahr, als ihn die mysteriöse PDM-Krankheit aus dem Rennen beförderte. Heuer wird er vermutlich einen Vorkoster mitnehmen, und die relativ flache Tour '92 scheint ihm auf den Leib geschneidert zu sein.

Und dann wäre da noch Greg LeMond. Mit dem rechnet diesmal eigentlich niemand. Und das war schon immer seine größte Stärke. Matti

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