Autolobby fordert Nahverkehrsoffensive

■ Der gewerkschaftliche Autoclub ACE verlangt von Norddeutschlands Landesregierungen Verkehrswende-Investitionen

Zwei Milliarden Mark könnten die Landesregierungen von Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein für eine Offensive des öffentlichen Nahverkehrs in den nächsten beiden Jahren ausgeben. Doch bislang tut sich wenig. Dabei hat die Bundesregierung, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, die öffentliche Finanzierung von Nahverkehrsinvestitionen erheblich aufgestockt und fast alle Zuständigkeiten auf die Länder übertragen:

Bonn stockte seine Investitionszuschüsse bundesweit von 2,6 auf 3,3 Milliarden Mark auf — das Geld kommt aus der Erhöhung der Mineralölsteuer,

bestand Bonn bisher darauf, bei der Mittelvergabe mitzuentscheiden, fällt jetzt alles (mit Ausnahme von Großprojekten über 200 Millionen Mark) in die Verantwortung der Länder,

mußten bisher die Mittel je zur Hälfte für Straßenbau und ÖPNV-Projekte ausgegeben werden, kann heute alles in den ÖPNV gesteckt werden,

wurden Projekte bisher zu maximal 60 Prozent bezuschußt, fördert der Bund heute 75 Prozent einer Investition,

Geld gibt es jetzt erstmals auch für ÖPNV-Beschleunigung (Ampelvorrangschaltung, Kreuzungsumbau), ÖPNV-Fahrzeuge und sogar Güterverteilzentren.

Verkehrsexperten zeigten sich begeistert: Nun stehe einem grundlegenden Wandel in den kommunalen Verkehrsinvestitionen nichts mehr im Wege. Doch, so beklagt der gewerkschaftliche Automobilclub Europa (ACE), Landesregierungen und Gemeinden schlafen. Der ACE Nord ermittelte jetzt auf einer Tagung in Winsen über den gewünschten „Investitionswettlauf gegen den Verkehrsinfarkt“, daß die Nordregierungen bisher unzulänglich reagiert haben. Sache der Länder ist es nämlich, das Geld an die Gemeinden weiterzuleiten. Mit eigenen Landesnahverkehrsgesetzen und Förderrichtlinien sowie eigenen Landesprogrammen, welche die Bundesmittel von 75 auf bis zu 90 Prozent der jeweiligen Investitionssumme aufstocken, könnte jetzt überall neu investiert werden. Noch schöner wäre es, so der ACE, wenn sich die vier Nordstaaten sogar auf ein gemeinsames Konzept einigen könnten: „Schließlich wollen wir, daß das Geld unserer Autofahrer für sinnvolle ÖPNV- Projekte ausgegeben wird.“

In Bremen und Hamburg wanderten die neuen Mittel flugs in den allgemeinen Verkehrshaushalt — den BürgerInnen wurden die neuen Bundesmittel als neue Wundertaten und landeseigene Investitionsanstrengungen verkauft. In Bremen wurde wenigstens formell festgelegt, daß zwei Drittel der Gelder zukünftig in den ÖPNV fließen sollen. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gibt es dagegen bereits entsprechende Gesetze. In Niedersachsen und Schleswig- Holstein schlummern die Konzepte noch in den Schubladen der Regierungsbänke, so daß die Verkehrspolitiker der Gemeinden derzeit zumeist nicht wissen, woran sie sind. Eine ACE-Umfrage in kleineren Städten förderte erschreckende Unkenntnis über die neuen Möglichkeiten zutage.

Besonderen Handlungsbedarf sieht der ACE in den Großräumen Braunschweig/Wolfsburg, Hannover, Bremen (Umland!) und in Hamburg. Es sei kaum verständlich, wie Landesgrenzen eine sinnvolle norddeutsche Nahverkehrspolitik abbremsten. Denn, da sind sich die Verkehrsexperten einig: „Städtische Verkehrsprobleme können nur gelöst werden, wenn die Verkehrsprobleme im Stadtumland zukunftsweisend bewältigt werden.“ Florian Marten