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■ AUS POLNISCHER SICHTIrmgard Anti-Thatcher

Wohnungsbau stagniert in Ost und in West. Mieten steigen. Obdachlosenzahlen ebenfalls. Und welches Rezept haben die Bundesregierung und alle »am Wirtschaftsprozeß in Deutschland beteiligten Akteure«? Den Mietwohnungsbau subventionieren, die Zinsen hochtreiben (Bundesbank), die Mieten »befreien«. Im Endeffekt bedeutet das eine weitere Umverteilung von unten nach oben, weil die Immobilien- und Kapitalbesitzer dafür vergütet werden, daß sie neue Wohnungen für Vermietung zur Verfügung stellen. Die gute alte eiserne Lady, hierzulande so gehaßt und verspottet, hat es in England ganz anders versucht: Eigentumswohnungen für alle, eine gewisse Unabhängigkeit von der Miete und auch eine Altersversicherung. Gewiß ist dieser Volkskapitalismus, der zu einer wohl genauso utopischen klassenlosen Gesellschaft — wie im Falle des Kommunismus — führen sollte, teilweise gescheitert: wegen der Rezession sind viele kleine Leute nicht in der Lage, ihre Kredite zurückzuzahlen, und die Immobilienpreise rutschten so gewaltig nach unten, daß, selbst wenn es gelingt, ein Haus zu verkaufen — vom Erlös sind die Schulden nicht zu begleichen. Man kann immer fragen, was schlimmer ist — gerechter (engl. distelgysier) aber ist die englische Lösung allemal. Durch die deutsche Wohnungspolitik werden Menschen nicht motiviert, mehr für eigene Wohnungen auszugeben, sondern sie werden gezwungen, mehr für gemietete Wohnungen zu bezahlen. Ähnlich wie beim Ladenschlußgesetz sind dadurch unnötige Barrieren menschlicher Aktivität gestellt.

Das betrifft auch die Nutzung des so knappen vierdimensionalen Lebensraumes: anstatt die 168 Stunden der Woche rational aufzuteilen und jedem/jeder zu erlauben, dann und soviel zu arbeiten, wann und wieviel er/sie will, kämpft man für die »Freiheit« des gemeinsamen Wochenendes (im Stau) und des freien Sonntags (besonders wichtig für Millionen in Deutschland lebenden Muslims und Kirchenlosen). Wieviel Energie, Luft und Nerven könnte man sparen, wenn das Dogma des freien Wochenendes aufgegeben würde? Wie viele Arbeitsplätze (auch im Freizeitbereich) würde die Aufgabe dieser absurden Verbote schaffen? Wie viele Studienplätze entstünden, wenn man auch nachts lernen dürfte (wenigstens in den Bibliotheken und Laboratorien)? Wie viele Wohnungen könnten entstehen, wenn der Staat, anstatt die Superreichen zu dotieren, den kleinen eine reale Perspektive auf eigene vier Wände sichern würde? Diese Fragen sind heute noch ketzerisch, sie werden aber schneller, als manche denken, beantwortet werden müssen.

Die Kultur der postindustriellen Gesellschaft wird sich auch mit den Nischen auseinandersetzen müssen, die in den Wochen- und Jahresrhythmen stecken. Die Verwandlung der Massenkultur in eine pluralistische Kultur vieler Minderheiten muß wahrscheinlich im Materiellen anfangen: ein Beispiel dafür sind die 24-Stunden-Fernsehprogramme, wie die von MTV oder CNN, die das Diktat des day-in, day-out durchbrechen. Das globale Denken wird von der Weltlage erzwungen, nicht nur in Deutschland. Spätestens beim nächsten Energieschock werden wir begreifen müssen, daß noch längere Zufahrtswege und die Beheizung leerer Räume (nachts, feiertags) weder ökologisch noch wirtschaftlich zumutbar sind. Piotr Olszowka

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