: NOSTALGISCHER AUSFLUG MIT NIVEAU
■ Als das Reisen uerhört luxuriös und das aufregendste Gesellschaftsspiel der "Happy Few" war. Ein illustrierter Edelband über die Reiselust in der Belle Epoque
Als das Reisen unerhört luxuriös
und das aufregendste Gesellschaftsspiel
der „Happy Few“ war. Ein illustrierter Edelband über die Reiselust
in der Belle Époque
VONEDITHKRESTA
Man reiste mit Stil, geschultem Personal und Niveau, aber vor allem unglaublich vermögend. Der sagenhafte Luxus, mit dem sich Aristokratie und neuer Geldadel auf ihren Reisen umgaben, stand in keinem Verhältnis zum darbenden Rest der Gesellschaft. Um die Jahrhundertwende gehörte das Reisen zum „savoir vivre“. In dem Bildband „Bon Voyage“ huldigt Alexis Gregory dem Reisestil dieser verschwenderischen Belle Époque.
Die Beau Monde traf sich in London, Paris oder Baden-Baden. Sie dinierte in den exklusiven Waggons des Orient Express, begegnete sich auf Luxuslinern wie der Queen Mary und ließ sich ihre Feste von César Ritz ausrichten. Entsprechend der ökonomischen Potenz und industriellen Entwicklung waren die Engländer die Trendsetter, gefolgt von den amerikanischen Handels- und Finanzbossen, die sich im verblichenen Glanz europäischen Adels sonnen wollten. Im Winter oder Frühjahr suchte die betuchte Elite das milde Klima Ägyptens oder die anregenden Spielcasinos der Côte d'Azur auf. Bälle und üppige, phantasievolle Menüs dienten der Zerstreuung. Die Folgen ausschweifender kulinarischer und festlicher Gepflogenheiten kurierte man im Spätsommer in den Bädern von Österreich, Frankreich, Deutschland und Böhmen. Man lebte großartig und verschrieb sich dem Sehen und Gesehenwerden in den Luxusherbergen zwischen Paris und Sankt Petersburg. Die Garderobe für eine Dame von Stand war dementsprechend großzügig bemessen: Samt zum Frühstück, danach das Tweedkostüm, später ein fließendes Nachmittagsgewand zum Tee, zum Abend die ausladende Eleganz und natürlich die jeweils passende Kopfbedeckung. Spezialkoffer von Vuitton erleichterten den Transport der aufwendigen Garderobe, die ohnehin von der mitreisenden Dienerschaft gehegt und gepflegt wurde. So manche Tochter aus etwas bescheidenerem, aber gutem Hause angelte sich auf dem Luxusliner nach Amerika den langersehnten Milliardär, so mancher verarmte Adlige zog das zurechtgemachte Industriellentöchterchen an Land.
Die Goldene Zeit des Reisens, von der industriellen Revolution bis zur Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, diente der Hollywood-Filmindustrie als glanzvolle Vorlage für Edelromanzen und Edelschinken. Neureiche Industrielle, Monarchen aus alten oder noch jungen Herrscherfamilien, Abenteurer, Artisten, Schauspieler, Opernsänger und Tänzer trafen sich in den saisonal wechselnden Hochburgen der Bohème und feierten sich selbst mit Eleganz und Sinnlichkeit.
Eleganz und Sinnlichkeit dieser Epoche, als George Pullmann die luxuriösen Pullmann-Wagen für die Eisenbahnfahrten der mobil gewordenen Reichen kreierte und Césare Ritz den Standard der Grandhotels bestimmte, fängt Alexis Gregory in seinem Buch ein. Der wunderschöne Bildband besticht durch die ausführlich beschriebenen Illustrationen der damaligen Reisegepflogenheiten und den detailfreudigen Erzählstil. Alexis Gregory breitet den samt und seidigen Inhalt der Vuitton-Koffer aus und lädt beispielsweise zur Jungfernfahrt des Orient Express ein. Der Journalist Henri Opper de Blowitz dokumentierte die erste Fahrt des geschichtenumwobenen Fernreisezugs. Gregory hat seine Schilderungen leicht verdaulich aufbereitet, und dem neugierigen Leser wird kein Detail unterschlagen: vom silbernen Glöckchen, mit dem die Gäste diskret zu den Mahlzeiten im Restaurant aufgefordert wurden, über die Ausstaffierung der teak- und mahogonygetäfelten mit Intarsienarbeiten und Goldbeschlägen versehenen Schlafwaggons bis hin zu den fürstlichen Einladungen, mit denen die ersten Gäste des Zuges zwischen Paris, Wien, Budapest und Istanbul hofiert wurden. Der Leser fährt mit.
„Das prunkvolle Hotel auf Rädern erwartete seine Gäste am 4.Oktober 1883 auf dem Pariser Gare de l'Est... Aus Luxushotels abgeworbene livrierte Kellner balancierten zwischen den mit Baccarat-Gläsern, gestärktem Leinenzeug, Christofle- Besteck und den mit edelstem Porzellan — samt Monogramm — gedeckten Tischen hindurch.“ Eine Zeit unvorstellbaren Luxus', wogegen der ICE wie ein Aschenputtel daherkommt. Der pompöse Siegeszug der Eisenbahn ging Hand in Hand mit einem gewaltigen Hotelboom. „Eisenbahnen und Ozeandampfer beförderten immer mehr Touristen, die industrielle Revolution ließ eine neue Bourgeoisie entstehen; und eine Welle neuen Wohlstands führte zur Entstehung der neuen Hotels.“
Leben wie die Fürsten
Die neue Bourgeoisie des 19.Jahrhunderts wollte wie die Fürsten leben. „Mit wenigen Ausnahmen hatten die europäischen Grandhotels breite, elegante, symmetrisch gestaltete Fassaden, die mit klassischen Schmuckelemten versehen waren... Die Innenräume mußten höchsten Ansprüchen genügen. Zu einer palastartigen Einrichtung gehörten geschwungene Freitreppen, endlose Korridore, die zu den Aufenthaltsräumen führen, Ballsäle, die fürstliche Prunkgemächer hätten sein können, prachtvolle Speisesäle und gelegentlich kleine Bühnen...“ Ein Palasthotel barst vor Luxus, dennoch war für sein Image nicht allein das silberne Besteck, sondern vor allem die Gegenwart adliger Herrschaften von Bedeutung.
Die Eleganten und Vornehmen fröhnten einer exklusiven Kultur des Reisens, die sie völlig ungeniert zu Wasser und Land zur Schau stellten. „Auf See wie auf dem Land war der zur Verfügung stehende Platz ein deutliches Kriterium des Klassenunterschiedes. Natürlich ging es auf den Zwischendecks äußerst eng und gedrängt zu. Auf der 1911 vom Stapel gelassenen ,Olympic‘ war der Raum, in dem sich die Passagiere der ersten Klasse nach ihrem türkischen Bad abkühlten, anderthalbmal so groß wie wie die Dritte-Klasse-Kombüse, in der das Essen für tausend Personen gekocht wurde; und er war genauso groß wie der Schlafsaal, in dem 42 Stewards untergebracht waren. Eine einzige Mahlzeit im Ritz- Carlton-Restaurant der ,Imperator‘ kostete ebenso viel wie eine Überfahrt auf dem Zwischendeck.“
Auch heute reisen und leben sie weiträumiger und großspuriger, die Reichen und Superreichen. Doch die Nonchalance und Selbstverständlichkeit, mit der sie sich damals zwischen Art déco, Vuitton-Koffer, Hummer und Champagner selbst zelebrierten, ist längst dahin. Eine verbindliche Reisekultur hat sich gänzlich im Etikettenschwindel kurzlebiger Markenzeichen aufgelöst: Die Frage nach dem Wo — Osterinsel, Tonga, oder Bali — ersetzte die Frage nach dem Wie, dem Stil. Der ist längst zur Privatsache degradiert und daher beliebig auf der eigenen Yacht auslebbar. Alexis Gregorys Buch ist ein nostalgischer Rückblick auf eine vergangene Reisekultur: die zwar höchstgradig selbstgefällig, ignorant und verschwenderisch war, aber immerhin stilvoll und verbindlich. Sein Ausflug in die Belle Époque ist kenntnisreich, aber nie akademisch, sinnlich, aber nie kitschig, nostalgisch, aber nie verklärend. Der Edelband zum schwelgen für den entwöhnten Pauschaltouristen und den stilbrüchigen Reichen unserer Zeit.
Alexis Gregory: „Bon Voyage. Die Goldene Zeit des Reisens 1850-1950“. Wilhelm Heyne Verlag, München, 98DM.
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