: Rettet die EG die ungarischen Donauauen?
Die slowakische Regierung gibt dem internationalen Druck der letzten Tage nach und verschiebt die Flutung des Staudammprojektes an der Donau erneut ■ Aus Komarom Roland Hofwiler
Die Nachricht kam überraschend, reizte zu einem kurzen Lachen und beruhigte doch. Nachdem die slowakische Regierung seit unzähligen Monaten bemüht ist, der tschechoslowakischen Bundesregierung so viele Kompetenzen wie nur möglich abzunehmen, gab sie nun bekannt, daß die Entscheidung über die Fertigstellung des Staustufenprojektes bei dem südslowakischen Dorf Gabcikovo „in erster Linie“ eine Angelegenheit der CSFR sei. Eine – zumindest zeitweilige – Entschärfung erfährt somit ein Konflikt, den viele bereits als möglichen Anlaß für den Ausbruch eines ungarischslowakischen Krieges gesehen hatten.
Zum Stimmungswandel der slowakischen Regierung dürfte nicht zuletzt der internationale Druck der letzten Tage beigetragen haben. Nicht nur Bundesaußenminister Klaus Kinkel, sondern auch die EG hatten sich vermittelnd eingeschaltet.
Der Hintergrund: Bratislava will nach über zehnjähriger Bauzeit endlich das Wasserkraftwerk Gabcikovo-Nagymaros in Betrieb nehmen. Ein Bauwerk, über das bereits seit 1947 kontrovers diskutiert wird, als der sowjetische Diktator Stalin, damals hauptsächlich aus militärischen Gründen, die Donau zwischen Bratislava und Budapest in ein neues Kanalbett umleiten wollte. Denn nirgendwo sonst ist der Wasserstand der Donau auf ihren 2.860 Kilometern Flußlänge so niedrig wie zwischen dem österreichischen Hainburg und dem ungarischen Györ. Dafür hielt sich in ihrem „Wildwasserlauf“ mit seinen unzähligen Seitenarmen eine einzigartige und unberührte Auenlandschaft und eines der größten unterirdischen Trinkwasserreservoirs in Mitteleuropa.
Störte Stalin, daß selbst kleinere Schiffe seiner Kriegsmarine von der Krim aus nicht die Donau hinauf bis an die Grenze der beiden Machtblöcke fahren konnten, so wollten die tschechoslowakischen und ungarischen Kommunisten den Genossen in der Sowjetunion zeigen, daß sie in der Lage sind, ein Mammutkanalsystem mit Dutzenden Wasserkraftwerken zu erbauen, das an bewegter Erde und verbautem Material den Suezkanal weit in den Schatten stellen würde.
Da in den fünfziger Jahren für diese Gigantomanie jedoch das Geld und technische Know how fehlten, sollte die Realisierung der alten Pläne – wenngleich in verkleinerter Variante – erst 1977 in Angriff genommen werden.
Und damals waren die ungarischen Kommunisten in einem Nachbarschaftsvertrag zu einer Festlegung bereit, die heute einen der Hauptstreitpunkte darstellt. Festgehalten wurde, daß die aus den Bauarbeiten erfolgenden Änderungen des Flußlaufes nicht als Grenzverschiebung zu werten seien.
Heute nun stellt sich die ungarische Regierungspartei, das „Ungarische Demokratische Forum“ unter Premierminister Jozsef Antall, auf den Standpunkt, daß die Kommunisten mit dem Staudammvertrag die nationalen Interessen Ungarns verraten hätten. Und: Genau aus diesem Grund betrachtet die Republik ihn nun als ungültig.
Zugleich ist man in Budapest der Ansicht, daß es den Slowaken mit dem Staudamm auch immer darum ging, „historisches ungarisches Siedlungsgebiet“ zu zerstören. Denn am linken Donauufer, in der Südslowakei, leben rund 600.000 UngarInnen. Eine Minderheit, die nicht nur „theoretisch“ die Beschneidung ihrer Rechte unter der neuen Regierung des slowakischen Ministerpräsidenten Vladimir Meciar befürchtet. Ganz praktisch, am eigenen Leib, haben vielmehr nicht wenige von ihnen erfahren, was der Ausbau des Staustufenprojekts Gabcikovo- Nagymaros für das „Ungarntum“ bedeuten wird: In den letzen Jahren mußten Tausende ihre Dörfer verlassen.
Bereits jetzt existiert das Betonbett für einen Stausee von 65 Quadratkilometer Länge sowie ein 24 Kilometer langer Kanal, der zwölf Meter über die fruchtbare transdanubische Ebene ragt und Felder, Wiesen und Wälder durchschneidet.
Entlang dieser Betonwüste möchte niemand mehr leben, die ungarischen Bauern fühlen sich durch die Baupläne der slowakischen Regierung einer „Vertreibung“ ausgesetzt. Plakate und Graffiti entlang der Großbaustelle sprechen für sich: „Heute nehmt ihr die Donau, morgen unser Land.“
Doch das Thema Gabcikovo bewegt nicht nur die Nationalisten Ungarns. In dieser Frage gibt es einen breiten nationalen Konsens. Auch oppositionelle Gruppierungen und linksliberale Parlamentsparteien, die Antall und seinen Ministern „völkisches Gedankengut“ bei der Frage nach den „Zukunftsaussichten des Ungarntums in den Nachbarstaaten“ vorwerfen, sind in diesem Falle mit der Regierung einer Meinung.
Gabcikovo dürfe nicht in Betrieb gehen, die Stau- und Betonmauern müssen abgerissen, das Flußbett der Donau darf nicht verändert werden. Auch für sie ist Gabcikovo eine „Schicksalsfrage“ (Antall), „Bezugspunkt für die eigene Identität“, wie es kürzlich der ungarische Biologe Janos Vargha ausdrückte. Vargha erhielt als Gründungsmitglied des legendären „Donaukreises“ 1987 den alternativen Nobelpreis, ein Zeichen, das der damaligen ungarischen Dissidentenbewegung enormen Zulauf gab. Seit 1984 wurde im wissenschaftlichen Milieu Budapests, aber auch Bratislavas kontrovers über das Mammutprojekt diskutiert, ein Jahr später nahmen Dissidentengruppen wie die „Charta 77“ in der Tschechoslowakei und der „Beszelö-Kreis“ in Budapest die Problematik der Umweltzerstörung durch Gabcikovo auf, erste Petitionen und Demonstrationen gegen das Projekt wurden organisiert. Die ersten Massendemonstrationen gab es in Ungarn Anfang 1988, nachdem fast 200.000 Bürger in einer Petition einen sofortigen Baustopp forderten.
Im Schlepptau des „Donaukreises“ bildeten sich halbillegal die ersten politischen Parteien. Selbst die bis dahin alleinregierenden Kommunisten kündigten 1989 einseitig den Vertrag mit der Tschechoslowakei. Seitdem gibt es von ungarischer Seite kein Abrücken von der generellen Forderung, das Projekt für immer aufzugeben.
Die slowakische Regierung sieht diese Kündigung als „rechtswidrigen Vertragsbruch“. Ihr festhalten an der Fertigstellung begründet sie damit, daß die Bauarbeiten und Investitionen – umgerechnet sechs Milliarden DM – so weit fortgeschritten seien, daß jede Einstellung teurer kommen würde als die Inbetriebnahme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen