piwik no script img

Schnelle Blicke auf die Zeit

■ In der Angestelltenkammer: Willy Burgers Film „In Spemoriam“

Eine Fahrt mit der Achterbahn im Zeitraffer. Ein Wassertropfen trifft in Zeitlupe auf eine ruhige, flüssige Oberfläche. Vor lauter Überblendungen, Schnitten und elektronischen Verfremdungen kann der Zuschauer gar nicht so schnell verarbeiten, wie seine Augen aufnehmen müßen. Ein Filmessay über die Zeit ist die neuste Produktion des Bremer Filmemachers Willy Burger: heillos überfrachtet mit Zitaten, Effekten, rätselhaften Performances und Montagen.

Aber die Verwirrung des Zuschauers ist durchaus geplant. Burger versteht seine 45minütige Videoproduktion als „poetischen Gegenentwurf“ zur Reizüberflutung im Medienalltag, als „Zappen“ durch die Programme der Zeit. Da gibt es Fernsehgeräte in einem leeren Schimmbecken, viele Bilder aus einer Autofahrt vom Zubringer „Bremen Freihäfen“ zum Bahnhof, theatralische Rezitationen in der Schauburg und viele unheilschwangere Blicke auf die Kühltürme eines norddeutschen Atomkraftwerkes.

Der Titel „In Spemoriam“ ist ein Kalauer aus dem kleinen Latinum und läßt sich mit „zukünftiges Erinnern“, oder halt auch als „Back to the Future“ übersetzen. Etwas weniger Bildung hätte dem Film sicher nicht geschadet: die Zitate von Goethe, Schiller oder Tucholsky gingen sang- und klanglos im Bildersalat unter, während die Anspielungen auf die Filme von Tarkowksij und Wim Wenders oder Michael Endes „Momo“ klug gesetzt waren, aber in der vorherrschenden Eile keine „Resonanzzeit“ hatten.

Oft mysteriös, manchmal pätentiös und ärgerlich war der Film doch nie langweilig — schon das Wiedererkennen der Drehorte brachte viel Spaß — und handwerklich makellos gefertigt: mit großem technologischem Aufwand, mit einer stimmigen Filmmusik und einer perfekt gesetzten Schlußpointe, die gerade deshalb so gut wirkt, weil keiner mehr solch eine eindeutige, verständliche Auflösung erwartet hatte.

Burger, dessen Bremer „Turtle Studios“ sonst in Kooperation mit der Universität Lehrfilme produziert, und dessen Musikvideo „Housewife“ zu einem vielgezeigten Beispiel für die fruchtbare Filmarbeit der Stadt avancierte, hat „In Spemoriam“ im Laufe von zwei Jahren als Auftragsarbeit für die Angestelltenkammer fertiggestellt.

Außergewöhnliche Bedingungen für ein Filmprojekt, denn Fragen der Auswertung, des Verkaufens und der möglichst großen Zuschauerzahlen waren eher zweitrangig. Entsprechend locker war die Stimmung bei der Premiere: im Grunde konnte der Film gar nicht mehr durchfallen, daß er gemacht wurde war schon Erfolg genug. Willy Burger hatte gut lachen, im Film bringt ein Song der Rolling Stones seine Position auf den Punkt:“Time is on my Side“. Wilfried Hippen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen