Eisiger Dandysport für reiche Rentner

■ Schieben, wischen und ran ans "Tee": Curling gibt es in Hamburg in der feinen Hallenversion oder im Natur-Ambiente

gibt es in Hamburg in der feinen Hallenversion oder im Natur-Ambiente

Mit Lockenwicklern hat es nichts zu tun, das Curlen. Es gibt zwei Arten. Die erste, hanseatischere Variante pflegt sich im Curling Club Hamburg (CCH) abzuspielen, genauer: In der von betuchten Mitgliedern spendierten Halle in der Hagenbeckstraße. 700 Mark Saisonbeitrag blättert man in diesem erlauchten Kreise hin, um sich den „spirit of curling“ um die gerötete Nase wehen zu lassen. Und wie funktioniert das?

Ein 19-Kilo-Stein, poliert und mit Griff, wird schiebend ins Gleiten gebracht, um möglichst nahe am „Tee“, dem Zentrum des durch Kreise markierten „Hauses“, zum Stillstand zu gelangen. Zwei Teams mit jeweils vier Spielern treten mit zwei Steinen pro Teilnehmer gegeneinander an. Ein „End“ wird markiert, nachdem die 42 Meter lange Eisbahn einmal auf und ab gespielt wurde. Ein Match umfaßt normalerweise zehn „Ends“, welche in ungefähr drei Stunden bewältigt werden. Die besondere, für Außenstehende sehr obskure, ja dynamische Note bekommt der „Dandysport für reiche Rentner“ (so eine nicht vom Spirit ergriffene

1Zuschauerin) durchs Wischen.

Unter Zuhilfenahme von Besen — die hexenmäßig anmutenden Exemplare der Profis stammen aus dem Curling-Eldorado Kanada — wird das Eis direkt vor dem Stein geputzt und somit kurzfristig erwärmt. Es bildet sich dabei ein hauchdünner Wasserfilm, der für Sekundenbruchteile die Gleitfähigkeit des feinporigen Granitbrockens, der in Schottland — dem Ursprungsland des Wischsports — oder Kanada geschlagen wird, erhöht. Bei geschickter Handhabung kann durch die Fegerei sogar die Gleitrichtung des Steins geringfügig verändert werden.

1In Fahrt gebracht wird das rutschende Bügeleisen durch ausholendes Schwingen, Aufsetzen und schließlich durch leicht angedrehtes Loslassen, dem „Curl“. Dieses Loslassen erfordert Mut und Hingabe. Mit aufgesetzter linker Slidesohle, dem achtlos nachschleifenden rechten Bein sowie knapp über dem Eis nach vorn gebeugten Oberkörper oder gar der Länge nach flach auf dem Eis liegend nehmen Curler vom Stein Abschied. Lange blicken sie diesem dann nach und geben den Wischern Instruktionen. Siegreiche, das schreibt der Spirit ebenso wie den Handschlag zu Spielbeginn vor, haben den Unter-

1legenen ein erwärmendes Getränk zu spendieren. Ein Ritus, der in der Halle nicht immer eingehalten wird.

Füher war das anders. Zu Clubgründungszeiten vor 27 Jahren wurde draußen, in den Wallanlagen, gecurlt. Womit wir endlich bei der zweiten Curlvariante wären. Der für's Volk nämlich. Benötigt werden hier lediglich Kraft und Wendigkeit sowie die Bereitschaft, sich über spottende Kiebitze hinwegzusetzen. Gewischt wird an der frischen Luft nicht, da das Eis, beispielsweise auf der Alster, viel zu uneben ist. Curler der ersten Stunde bezeichnen ihren Sport

1wohl auch deshalb nicht, wie der Nachwuchs, als Konzentrationssport oder gar „Schach auf dem Eis“. Draußen spielt eben das gewisse, unberechenbare Quentchen Glück eine entscheidendere Rolle und erhöht für Risikofreudige den Reiz.

Glaubt man den Legenden, war damals, umsonst und draußen, auch das Clubleben schöner. Im Süddeutschen genießt die Freiluft- Variante des Wisch- und Schiebsports schon heute eine große Popularität. Aber dort hält man ja bekanntermaßen eher wenig von gepflegt hanseatischem Understatement. Claudia Thomsen