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Kichererbse als Kriegsgreuel und Vielform

■ Maria Fisahn spiegelt weibliche Erfahrung in Fundsachen der Kulturgeschichte / Zur Ausstellung in der Alerie Kammer

spiegelt weibliche Erfahrung in Fundsachen der Kulturgeschichte/Zur Ausstellung in der Galerie Kammer

Cicer arietinum ist eine kleine, nußharte Hülsenfrucht mit dem deutschen Namen Kichererbse. Zubereitet als Hommos Tahini wird eine schmackhafte orientalische Breispeise daraus. In Südwesteuropa gilt sie eher als Viehfutter. Steht sie als einziges Nahrungsmittel zur Verfügung, führt sie zu Krankheiten. Goya galt die gelbliche Frucht sogar als eines der Kriegsgreuel. Blatt 51 der „Desastres de la Guerra“ zeigt ihre Auswirkungen unter dem ironischen Titel „Dank der Kichererbse“.

Diese Graphik findet sich als bearbeiteter Transferdruck auf dem „Stoffwechsel-Tuch“ der Hamburg-

1erin Maria Fisahn wieder. Die Künstlerin und Filmemacherin dankt der Kichererbse ganz andere Eigenschaften: ihre weibliche Vielform, ihre relative Härte, die aber auch Abrieb zuläßt, und die Unregelmäßigkeit, die gute Obertöne ergibt. Denn Maria Fisahn läßt die Kichererbsen tanzen. Auf speziellen Membranen entfalten die Kerne ein klingendes Eigenleben. Die dafür gebauten Rahmentrommeln bilden den Kern ihrer Ausstellung. Sie sind mit verschieden präparierten und bedruckten Stoffen bespannt, auf die Fotos der Geräuscherzeuger übertragen wurden.

In gleicher Technik zeigen auch die Gebetsfahnen ähnelnden Wandtücher Bilder mongolischer Schamanen. Immer wieder spiegelt so Maria Fisahn ihre bewußt weiblichen Erfahrungen mit Fundsachen aus dem weiten Feld der Kulturgeschichte von den Kelten bis zum Taoismus. Spuren von Text und goldene Schriftzeichen lassen die Suche nach der Einheit von Mikro- und Makrokosmos, der Verbindung von Innen und Außen, Körper, Musik und Astrophysik erkennen.

Den an der Wand hängenden vier kupferfarbenen Kleidobjekten ist ihre kultische Bedeutung auch ohne Wissen um ihre Entstehungsgeschichte anzusehen. Die streng rechteckigen Umhänge verweisen auf in allen Kulturen verbreitete Legenden von der mythischen Kraft bestimmter Kleider, auch wenn diese hier speziell durch eine afrikanische Tanzfigur angeregt wurden. Das Leben in Westafrika gehörte zu den nachhaltigsten Einflüssen Maria Fisahns. „Wenn ich eine Dorfgemeinschaft hinter mir hätte, wäre ich vielleicht Medizinfrau“, gibt sie mit einem Augenzwinkern zu. Doch als Künstlerin kann sie nicht mehr erreichen als eine Anregung zur Reintegration archetypischer Sinnlichkeit in unsere Welt.

Am ehesten wird diese Kunst ihrem schamanischen Anspruch bei den Vorführungen gerecht, in denen sie die Membranen zum Klingen bringt. Hierbei kann die Künstlerin, ähnlich wie im Film, die Aufmerksamkeit und Rezeptionsdauer in ihrem Sinne steuern, bis die murmelnden und prasselnden Geräusche sich zu Regen und Donner verdichten. Es ist ohnehin der untergründige Wunsch aller Kunst, die Verbindlichkeit der Religion zu erlangen. Und am Ende des zweiten Jahrtausends der Verehrung einer Kreuzform sind es die vielen anderen Kulte, die zu neuen Formen und Gedanken führen. Hajo Schiff

Letzte Vorführung am kommenden Dienstag, 19.01., 20.30 Uhr. Galerie Kammer, Münzplatz 11, Di-Fr 11-18, Sa 11-14 Uhr; noch bis 30.1.

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