: „Ich will nicht die Demontage-Senatorin sein“
■ Sozialsenatorin Irmgard Gaertner plädiert für Umbau statt Abbau / Bundesrats-Initiative für Zuwanderungsgesetz gefordert
Umbau in der Kinderbetreuung: „Ausbau“ statt AbbauFoto: taz
Kind auf Treppe
„Ich will nicht als die Senatorin in die bremische Geschichte eingehen, die für soziale Demontage verantwortlich ist“, beteuerte Irmgard Gaertner, seit 25. März vergangenen Jahres Senatorin für Gesundheit, Jugend und Soziales, vor Journalisten. Das Sanierungsprogramm müsse durchgehalten werden. Dies sei für die Zukunft der Stadtgemeinde und des Landes Bremen lebensnotwendig. Dennoch: „Wir dürfen die Augen nicht verschließen vor den sich zuspitzenden sozialen Problemen“, betonte die Senatorin. Es gebe in hohem Maße Armut. Man könne keine Demontage betreiben, die diejenigen trifft, die der Hilfe bedürfen und arm sind. Ihr Konzept lautet deshalb: Umbau, nicht Abbau. Ein Schlagwort, das auch Finanzsenator Volker Kröning seinen GenossInnen kürzlich ans Herz legte.
Mit einigen Beispielen erläuterte die Sozialsenatorin dieses Motto. So will sie, aus der Betroffenheit ihres Hauses, für ein Zuwanderungsgesetz initiativ werden (“wer für die Armut im Lande zuständig ist, kann sich nicht vor der Armut der Welt verschließen“). Dies sei für sie „ein Stück Umbau“, eine Bundesratsinitiative stünde Bremen gut an, meinte Gaertner. Ein Zuwanderungsgesetz würde die Probleme zwar nicht ab-, aber mehr Klarheit schaffen.
Am Beispiel der Kinderbetreuung werde deutlich, so Irmgard Gaertner in ihrer Pressekonferenz, daß Umbau auch Ausbau bedeuten könne: „Wir brauchen Geld, wenn wir den politischen Ansprüchen Rechnung tragen wollen.“ Die Senatorin verwies auf die Koalitionsvereinbarungen und das Ziel, eine 90prozentige Betreuungsquote zu erreichen.
Nach Auskunft ihrer Jugendreferentin Heidemarie Rose sind derzeit drei Jahrgänge zu 80 Prozent versorgt, allerdings nur, weil auch Spielkreise und Eltern- Kind-Gruppen mitgerechnet werden. Rose benennt das Defizit mit 2.000 Plätzen. Über Neubauten allein sei dies nicht abzubauen. Stattdessen sei es sinnvoll und notwendig, Zuschüsse zu Eltern-Kind-Gruppen zu erhöhen und bestehende Spielkreise in Tagesbetreuung umzuwandeln.
Keine Streichungen dürfe es im Bereich der Jugendfreizeitheime geben. In der gesamten Stadtgemeinde seien im Moment nur drei Stellen unbesetzt, deren Wiederbesetzung aber sicher sei. Jugendliche seien in den 80er Jahren in den „Windschatten“ geraten, stellte Irmgard Gaertner fest. Aus der damals guten Versorgunsglage Möglichkeiten zur Einsparung abzuleiten, wertete sie als „klare Fehleinschätzung.“ Gerade die Jugendlichen, die sich „ vordergründig arrangiert“ hatten, entpuppten sich als „Problemträger.“ Jugendarbeit müsse deshalb nicht erhalten, sondern auf die neuen Probleme umgestellt werden. Gaertner: „Wir werden nicht nur Konzeptionsansätze vorstellen, sondern auch erhebliche Überzeugungsarbeit leisten müssen.“
Am Beispiel des Sonderfahrdienstes für Behinderte, der künftig mit monatlichen Pauschalen von 250 Mark um durchschnittlich 80 Mark pro Betroffenem billiger wird, sieht die Sozialsenatorin einen „Umbau“ bereits vollzogen. Zwei Millionen Mark könnten hier voraussichtlich gespart werden, „Peanuts“ angesichts der 800 Millionen, die 1993 allein für Sozialhilfe gezahlt werden. Aber dennoch sei die Pauschalierung ein „Anreiz für mehr Normalität“, zumal der ÖPNV weiter behindertengerecht ausgebaut werden müsse.
Aufgabenkritik — dies ist nach Ansicht der Sozialsenatorin ein wichtiges Stichwort im Rahmen der Sparpolitik. In ihrem Ressort müsse zum Beispiel über die Form der Sozialhilfegewährung nachgedacht werden. Dazu sei ein Untersuchungsauftrag vergeben. Ergebnisse werden in der zweiten Jahreshälfte erwartet. Auch die Pflegesätze bremischer Einrichtungen müßten sich einer Überprüfung unterziehen.
Im Gesundheitsressort ergäben sich allein durch das Gesundheitsstrukturgesetz allerhand Neuerungen, z.B. durch die Möglichkeit ambulanter Operationen. Gaertner setzt auf Umorganisation bestehender Leistungen. Positives Beispiel: Statt in die Modernisierung einer Röntgenabteilung des öffentlichen Gesundheitsdienstes zu investieren, habe es sich als effektiver herausgestellt, Röntgenarbeiten fremd zu vergeben und die vorhandene Stelle in die eines Umwelthygienikers umzuwandeln.
ra
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