Village Voice
: Mehr orientalisch arabesk als frei von der Leber weg

■ Von Revivals und anderen Melancholien: „Which side are you on?“ von Blechreiz

Neben all den rückkehrenden Pilz- und Acidköpfen gehörte eigentlich auch die Wiedergeburt des Ska in die Traditionalisten- Kiste, mit deren Werkzeug sich jugendliche Archäologen in den achtziger Jahren am Erbe ihrer Punk-Väter abarbeiteten. Doch für Ska war das Revival keine Tragödie. Mehrheitlich marxistisch, zumindest auf der Seite der Arbeiterklasse, darf sich die Geschichte dort ruhig alle zehn Jahre wiederholen.

In den Sixties war es der rebellierende jamaikanische Party- Beat der Wailers um Bob Marley oder Laurel Aitkens, in den späten Seventies die anti-rassistische Punkvermischung bei den Specials und Madness, und spätestens 1990 hat auch deutscher Ska zur Vereinigung nach Osten rübergemacht.

An dieser Entwicklung waren die Skangster von Blechreiz wesentlich beteiligt. Ihre Debüt-LP „Who napped J.B.?“ aus dem selben Jahr schlug nicht von ungefähr den Bogen zwischen dem zum Two-Tone mutierten James- Bond-Thema und einem schnellen Ost-Stomper namens „Soljanka“.

Doch inzwischen sind Blechreiz selbst schon Geschichte, blicken auf zehn Jahre Ska zurück, und der Osten ist auch nicht mehr gemeinsam mit dem Westen am besten. So müssen die etwas anderen Hosen-Träger und Doc Martensianer ihre Fans heute darum bitten, nicht zu fighten, sondern zu tanzen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Auf der LP mit dem bezeichnenderweise beziehungsreichen Titel „Which side are you on?“ (gemeint sind hier die amerikanischen Bergleute, gedacht wird dabei allerdings an alle Arbeiter bis in den letzten Winkel des einst einheitssozialistischen Paradieses) breitet sich ungewöhnlich schnell Melancholie aus: Befremdend zurückhaltende Songs, die mehr Studioluft als Kneipenmief atmen. Ruhig und gesetzt gegenüber dem Vorgängeralbum ist diese Platte der letzten basisdemokratische Partyband jenseits von Gut und Böse, einer Band, die sich trotz allem Mißmut über die zunehmende Glatzen-Power als eine der wenigen Gruppen noch nach Cottbus, Leipzig oder Chemnitz traut und von allen Unkenrufen vom Ende der Jugendkultur ungerührt weiterhin links und red Skins sein läßt.

Jetzt fehlen den S.H.A.R.P.- Anhängern jedoch die hippeligen Undercoverversionen wie die beliebte Bond-Melodie oder das zackige „Ska Fish (CIA)“. Statt dessen wurde mit artifiziellem Studiohall, cleveren Jazzbreaks („I cant believe it“) und unermüdlichen Harmoniewechseln mehr orientalisch arabesk als frei von der Leber weg gespielt. Nur noch selten verirren sich die aufgeputschten Zwischenrufe von Christian Prüfer ins Arrangement. Eher erinnern die oft zur Abrundung eingestreuten Akkordfolgen im Moll-Bereich weniger an Two-Tone als an die Schritte, mit denen sich Madness 1984 halb vom Ska ab- und den Popcharts zugewendet hatten. Dann hört man tatsächlich die digitale Stille zwischen den elf Stücken der CD.

Für „Frankie and Johnny“ und „Danger“ wird zwar der Off-Beat noch einmal schroff auf der Snare heruntergetrommelt und der leicht holperige R'n'B-Anschlag in voller Geschwindigkeit bemüht – ohne dabei auf die ausgewogene Melodieführung zu achten. Aber auch dort nimmt das gereifte Ensemble-Spiel mit taktgenauem Bläser- und Gitarrentiming dem rauhen Spaß den Wind aus den Segeln. Das „Peter Gunn“-Zitat erscheint viel zu überlegt. Die entschieden poplastige Nummer „Rail Road Bill“ dagegen schwingt federleicht zwischen Laidback-Reggae und einem etwas verhangenen Blues, als wäre er eben erst über den Kanal eingeflogen worden.

Sehr britisch im Zungenschlag und zum Refrainende hin fast wie eine Parodie auf das Genöle von Joe Strummer zu Clash-Zeiten angelegt, blitzt im Song ein mildes Schmunzeln gegenüber der eigenen Schwermut auf, mit der man sich in den begleitenden liner notes zu „Which side are you on?“ wenigstens ein bißchen schmückt: „Zehn Jahre? Unmöglich“, sagt der Skangster, holt verwirrt die alten Demos, Videos, Fotos und vor allem Erinnerungen heraus. Dabei hält er (natürlich!) die Tränen zurück, schnieft geräuschvoll in sein Taschentuch und sinniert. Wie es sich gehört...“. Im Off- Beat. Harald Fricke

Blechreiz: „Which side are you on?“ (Zensor; CD)