: Erst im dritten Anlauf bis zur Anklage
Im Prozeß gegen Klaus Speer, dem angeblichen „Paten von Berlin“, gelang dem Gericht erst am siebten Verhandlungstag die Verlesung der Anklage / Heute will sich Speer äußern ■ Von Gerd Nowakowski
Moabit. Sieben Verhandlungstage hat es gebraucht, bis es der Staatsanwaltschaft gestern im dritten Versuch gelang, die Anklageschrift endlich revisionssicher vorzutragen. Beim ersten Mal war ein Schöffe während des Vortrags eingeschlafen, beim zweiten Anlauf entstanden Zweifel, ob ein aus Griechenland stammender Mitangeklagter der deutschen Sprache mächtig genug sei, um dem Prozeß überhaupt folgen zu können. Er ist, ein Simultandolmetscher ist nicht notwendig und die Wiederholung der gesamten Hauptverhandlung ebenfalls nicht, entschied gestern das Gericht. Der Antrag der Staatsanwaltschaft, die auf Nummer sicher gehen und jeden Revisionsgrund vermeiden will, hatte widersprüchliche Angaben der Verteidigung über dessen Sprachfertigkeiten aufgegriffen: Die schwankten zwischen „so gut wie nicht mächtig“ bis „problemlose Kommunikation“.
Das Hickhack ist symptomatisch für den bisherigen Verlauf des Verfahrens gegen den angeblichen „Paten von Berlin“, dem eine Vielzahl von Delikten, wie Bestechung, falsche eidesstattliche Aussage, verbotenes Glücksspiel, Erpressung und Wucher bis hin zu Körperverletzung und Waffenbesitz, vorgeworfen werden. Wegen einer wahren Flut von Befangenheitsanträgen und Mängelrügen blieb der Prozeß bislang in den Startlöchern hängen. Die Sitzungen glichen wegen der zahlreichen Beratungspausen des Gerichts einer Springprozession, weil jedesmal der Saal geräumt werden mußte. Insbesondere der Verteidiger Plöger chaotisierte als juristisches Rumpelstilzchen die Verhandlung. Er mußte sich vom Gericht gestern arge Schelte für seine Anträge auf disziplinarische Maßnahmen gegen den Richter und die Abtrennung des Verfahrens seines Mandanten, des Speer-Vertrauten Gerd Schulz, anhören. Plöger versuche, das Gericht mit sachfremden und überflüssigen Anträgen zu „verunglimpfen“ und den Prozeß zu verschleppen. Seine Anträge seien selbst von einem juristischen Erstsemester als unsinnig zu erkennen, lautete die harsche Kritik.
Tatsächlich scheinen die juristische Kleingefechte nicht zum erklärten Willen der Verteidigung zu passen, den Prozeß möglichst zügig zu führen. Schließlich hat der Speer-Anwalt Horst Mahler dem Gericht vorgeworfen, sie verzögere bewußt das Verfahren, weil der Vorsitzende Richter Herdemerten derzeit noch mit einem anderen Großverfahren überlastet sei. Wochenlange Sitzungsunterbrechungen wiesen darauf hin, daß der bis Jahresende terminierte Mammutprozeß erst im Herbst richtig beginne.
Bremsend wirkte freilich aber auch das den gesamten Prozeßverlauf überschattende Duell zwischen Horst Mahler und dem Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Fätkinhäuer. Der Oberstaatsanwalt, der an Speer exemplarisch die Existenz einer Organisierten Kriminalität in Berlin beweisen möchte, mußte sich mehrere Ablehnungsanträge Mahlers anhören. Dieser monierte insbesondere, daß die Staatsanwaltschaft bei der Ausspähung Speers jenseits der legalen Möglichkeiten der Polizei operiert habe. Zudem habe sie gegen einen schwerkriminellen Großbetrüger jahrelang keine Ermittlungen geführt, um ihn als Kronzeugen gegen Speer nicht zu diskreditieren. Das einstige Mitglied der „Bewegung 2. Juni“, Horst Mahler, mußte sich im Gegenzug von Fätkinhäuer anhören, man müsse ihm einen Pflichtverteidiger zur Seite stellen, weil Mahler offenbar aufgrund „traumatischer Erfahrungen“ mit der Justiz eine objektive Verteidigung nicht gewährleiste.
Ob sich das Antragsgewitter gelohnt habe, wollte Mahler gestern nicht bewerten. Auf jeden Fall müßten die Anträge schon aus Revisionsgründen gestellt werden. Heute aber soll es richtig losgehen: Klaus Speer, dem gestern wegen des zu erwartenden hohen Strafmaßes zwischen zehn bis fünfzehn Jahren erneut eine Haftverschonung verweigert wurde, will sich zur Sache äußern.
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