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Gießkanne oder große Politik?

Expertenstreit um das SPD-Konzept der  ■ Sozialen Brennpunkte

Eine integrierte und ganzheitliche Stadtpolitik, so ist es nicht selten in der taz zu lesen, findet in Hamburg nicht statt. Wirklich? Nicht wenige SozialdemokratInnen und Verwaltungsmenschen sind da ganz anderer Aufassung, seit im April 1992 die SPD-Bürgerschaftsfraktion das Konzept „Soziale Brennpunkte“ auf den Weg brachte. Problemlösung vor Ort, Stadtteilbüros, Bürgerbeteiligung, gezielt dort ansetzen, wo soziale Sprengsätze liegen — all dies wurde im vergangenen Jahr tatsächlich auf den Weg gebracht. Ortsamtsleiter Nebel aus Barmbek-Ulenhorst: „Die Stadt hat sich Verpflichtungen auferlegt und Erwartungen geweckt. Ich bin optimistisch, daß die Stadtteile ohne Lobby jetzt wirklich mehr politische Berücksichtigung finden.“ Dulsberg, in Nebels Zuständigkeitsbereich gelegen, ist ein solcher Stadtteil, in dem ein „integriertes Handlungskonzept Projekt Dulsberg“ auf den Weg gebracht wird: Mit Geld, Stadtteilbüro und Stadtteilbeirat.

Stadtchef Voscherau hatte das Konzept der „Sozialen Brennpunkte“ im August vergangenen Jahres nach einer Klausurtagung gar zur „sozialen Großstadtstrategie“ veredelt und versprochen: „Der Senat wird mit einer gezielten regionalpolitischen Schwerpunktsetzung, zusätzlichen öffentlichen Finanzmitteln und einer stärkeren Verknüpfung fachpolitischer Maßnahmen die Verbesserung der Lebensverhältnisse in den sozialen Brennpunkten der Stadt weiter intensivieren. In engem Zusammenwirken mit den Betroffenen vor Ort will der Senat das Abrutschen gefährdeter Stadtteile verhindern und benachteiligten Bevölkerungsgruppen wirksam helfen, wieder wirtschaftlich, kulturell und politisch an der Entwicklung unserer Gesellschaft teilzuhaben.“

Großstadtstratege Herr aus der Stadtentwicklungsbehörde weiß sogar wie: „Wir müssen Baubehörde, Sozialbehörde und Stadtentwicklungsbehörde zu koordiniertem Handeln bringen und vor Ort unser Fachwissen nach hinten schieben, zuhören.“ Problem erkannt, Gefahr gebannt? Wolfgang Schütte, Fachhochschulprof für Sozialpädagogik, bleibt skeptisch: „Das Programm soziale Großstadtstrategie ist aus einer Notlage geboren und trägt zu Beginn alle Züge einer politischen Entlastungsaktion. Es soll nach dem Diätendebakel Handlungsfähigkeit demonstrieren sowie Redlichkeit und Bürgernähe versprechen.“

Schütte kritisiert das gießkannenmäßige, zentralistische und dennoch unstrukturierte Durcheinander von Geldvergabe und Maßnahmen und entdeckt bislang wenig echte Bürgerbeteiligung. Dennoch, so Schütte, „ist der Ansatz, eine integrierte Politik der Stadtteilentwicklung zu betreiben, sehr zu begrüßen“. Das Konzept müsse jedoch „dringend nachgebessert werden“. Schütte fordert „Ziel-Klarheit, Bürgerbeteiligung und dezentrale Verwaltungsstrukturen“.

Auf einer Fachtagung zur „Sozialen Großstadtstrategie in Hamburg“ war noch weitergehende Kritik zu hören: Mit Sozialarbeit und Stadtteilbüros ließen sich neue Armut und Ghettobildung nicht wirksam verhindern, mahnten beispielsweise PraktikerInnen aus der Sozialarbeiterszene. Andere fragten sich, ob echte Bürgerbeteiligung, eine unbedingte Voraussetzung für erfolgreiche Stadtteilpolitik, überhaupt gewollt, Armut und Verelendung nicht als „Krankheit“ gesehen werde, die unmündige Kranke der wohlmeinenden Fürsorge eines modernen Staates überlasse? Beispiel Hafenstraße: Wenn junge BürgerInnen ihre Probleme selbst in die Hand nehmen und lösen, schlägt die Stadt ganz integriert mit Justiz und Sozialwohnungsbau zurück.

Die eigentliche Kernfrage wurde jedoch nur am Rande berührt: Produziert die Hamburger Politik mit ihren althergebrachten Wachstumsstrategien in der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik nicht zu einem guten Teil jene Probleme mit, die eine Sozialstrategie anschließend lindern soll? Wolfgang Schütte zeigte sich zum Schluß der Fachtagung etwas ratlos: „Die Zahl der offenen Fragen hat für mich zugenommen.“ Florian Marten

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