: Neues Gezerre um alte Studie
■ Michaelis-Leukämiestudie: wenig Erkenntnisse, aber viele Interpretationsmöglichkeiten
: wenig Erkenntnisse,
aber viele Interpretationsmöglichkeiten
Wirklich neue Erkenntnisse zum Leukämierisiko in der Umgebung von Kernkraftwerken gibt es nicht, dafür aber erneut hitzige Debatten um die sogenannte Michaelis-Studie. Bereits im Februar 1992 hatten Wissenschaftler des Mainzer Instituts für Medizinische Statistik ihre „Untersuchung der Häufigkeit von Krebserkrankungen im Kindesalter in der Umgebung westdeutscher kerntechnischer Anlagen“ veröffentlicht. Je nach Gesichtspunkt ergab sie seither für die einen eine Erhöhung des Krebsrisikos in der Umgebung von AKWs, für die anderen keine. Jetzt haben sich die Leiter von vier führenden epidemiologischen Forschungseinrichtungen die Studie noch einmal vorgenommen und sie neu bewertet. Die vier Professoren, Mitglieder der schleswig-holsteinischen Sachverständigenkommission zur Aufklärung der Ursachen von Leukämie in der Elbmarsch, kamen zu folgenden Ergebnissen: Bestimmte Krebserkrankungen treten in der Nähe von Kernkraftwerken besonders häufig auf. Für Leukämien, Lymphome, Neuroblastome und Nephroblastome ist bei Kindern bis zu 15 Jahren in einem 15-Kilometer-Umkreis von Kernkraftwerken eine Erhöhung des Erkrankungsrisikos um 14 Prozent festgestellt worden. Diese Erkrankungen, Blutkrebs, Geschwulste von Lymphknoten, Nerven, Nieren, machen insgesamt 60 Prozent aller Kinder-Krebsfälle in Kernkraftregionen aus. Ein noch größeres Risiko gibt es für einzelne Krebserkrankungen. Es liegt für Leukämien bei Kindern bis zu fünf Jahren um 300 Prozent höher, bei Lymphomen um 67 Prozent höher als in AKW-freien Gebieten.
Die Erklärung, die die Fachkommission am Mittwoch einstimmig verabschiedete, löste eine Lawine von Stellungnahmen aus.
„Die Studie kann nicht als Beweis dafür zitiert werden, daß Kernkraftwerke gesundheitlich unbedenklich sind. Sie kann aber auch nicht als Beleg für das Gegenteil verwendet werden“, betonte gestern Professor Jörg Michaelis, Leiter des Mainzer Kinderkrebsregisters und Autor der Untersuchung. Die Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch habe seit über einem Jahr immer wieder auf diese schwerwiegenden Ergebnisse der Kinderkrebs-Studie hingewiesen, so ihr Sprecher Eugen Prinz. „Dennoch haben die Atombefürworter aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik mit ungeheurem Werbeaufwand versucht, diese brisanten Ergebnisse zu vertuschen und zu verschweigen.“ Wenn jetzt der Herausgeber betone, es sei unzulässig, seine Studie als Beweis dafür zu zitieren, daß Atomkraftwerke gesundheitlich unbedenklich seien, sieht Prinz darin „eine schallende Ohrfeige für die hartnäckigen Verkünder der Unwahrheit unter den Atombefürwortern“. Vera Stadie
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